Welt in der Schwebe
Sie sind kryptisch und alltäglich zugleich. Die Zeichnungen, Aquarelle und
Gemälde der Berlinerin Monika Baer lassen den Betrachter zunächst über
ihre Absichten völlig im Unklaren. Was ihm bleibt, ist die Suche nach
einem möglichen Sinn – bis er merkt, dass hier offenbar der Weg das Ziel
ist. Baer geht es um die Entstehung von Bildern im Kopf. Lange war sie nur
Insidern bekannt, doch nun wird die 41-jährige Künstlerin prominent mit
einer umfassenden Schau geehrt. Nach der Premiere im Bonnefanten-Museum in
Maastricht macht die Ausstellung Anfang März in der Münchner Pinakothek
der Moderne Station. Aktuelle Arbeiten Baers sind ab April auf der
Triennale Beaufort in Oostende zu sehen. In der Sammlung Deutsche Bank
sind ihre Werke bereits seit 1994 vertreten. Ulrich Clewing hat
Monika Baers rätselhafte Szenerien erkundet.

Monika Baer: Ohne Titel, 2003
Courtesy Galerie Barbara Weiss, Berlin
Es ist
eine seltsame Szene, die sich hier abspielt. Die junge Frau sitzt auf der
Erde, sie dreht uns den Rücken zu. Nackt hat sie sich auf einer Art
Felsplateau niedergelassen, ihr langes Haar trägt sie hochgesteckt und
dreht das Gesicht so zur Seite, dass man ihr Profil erkennen kann. Vor der
Figur erhebt sich eine mächtige Wand, darüber leuchtet ein Streifen
Abendhimmel, während sie selbst von einer grellen, weißlichen Aureole
eingehüllt wird. Daneben kauern offenbar noch weitere weibliche Figuren,
die fast im hellen Nebellicht verschwinden.
Nach einer Weile nimmt
man andere rätselhafte Gestalten und rundliche Gegenstände wahr, die alles
Mögliche sein könnten: Ballons, monströse Fratzen, Weltkugeln und Planeten
einer fernen Galaxie. Das Ganze mutet irreal an – delikat in der
malerischen Ausführung und vollkommen phantastisch, was das Thema
betrifft. Auch der Titel der Arbeit hält keinerlei Hilfestellung parat, er
lautet schlicht: Untitled.
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Jean-August-Dominique Ingres,
Die Badende von Valpincon, 1808
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Dennoch finden sich in diesem Bild auch sehr konkrete
Hinweise – zum Beispiel auf die prosaische Gegenwart, in diesem Fall: die
Sphäre der Wissenschaft. Bei der Rückenfigur im Zentrum handelt es sich
nämlich unzweifelhaft um eine Reminiszenz an eine der berühmtesten
Kehrseiten der Kunstgeschichte,
Jean-Auguste-Dominique Ingres heute im Pariser
Louvre aufbewahrte Badende von 1808. Dieses Hauptwerk des
französischen Klassizismus wurde so häufig beschrieben, analysiert und
interpretiert, dass es längst auch zu einem Synonym akademischer
Betriebsamkeit geworden ist. Und das ist nur eine von vielen Fährten, die
hier gelegt worden sind und von der Ratio des Betrachters dankbar
aufgenommen werden.
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Monika Baer, Jäger, 2003
Courtesy Galerie Barbara Weiss
So geht es einem
mit vielen Werken der 1964 in Freiburg geborenen, heute in Berlin lebenden
Malerin und Zeichnerin
Monika Baer. Wer sich erst einmal damit abgefunden hat, von der Künstlerin
keinerlei Gewissheiten über das Gesehene zu erlangen, der entdeckt in all
dem Vagen, Ungefähren zahlreiche kleine Botschaften und Querverweise,
welche die Interpretation in bestimmte Richtungen zu lenken vermögen. Was
dabei in ihren Gemälden und Zeichnungen immer wieder auftaucht, ist die
Grundkonzeption der klassischen Landschaftsmalerei. Mal sind es
traditionelle Bestandteile des genre-typischen Repertoires wie Berge,
Täler, Dörfer oder Wolkenformationen. Mal beschränkt sich das
Landschaftliche eher auf Andeutungen: etwa eine quer über die Leinwand
verlaufende Linie, die man in der ansonsten abstrakten Komposition als
Horizontlinie verstehen könnte.

Monika Baer, Jäger im Regen, 2003
Courtesy Galerie Barbara Weiss
Und dann gibt es
Arbeiten, in denen die Anklänge an Landschaften so reduziert sind, dass
sie nur aus der Einteilung in einen exakt konturierten Vorder- und einen
nebulösen Hintergrund entstehen oder aus hellen und dunklen Zonen im Bild
wie beispielsweise in dem Gemälde Jäger von 2003. Allen
drei Varianten gemeinsam ist, dass dadurch beim Betrachter eine
Vorstellung von einem Ort geweckt wird, die die Künstlerin durch das
Hinzufügen von vermeintlich irrationalen Einzelheiten freilich im gleichen
Moment wieder zurücknimmt. Diese "ortlosen Orte", die aus der Kombination
von im landläufigen Verständnis sinnvollen und sinnlosen Elementen
resultieren, sind entscheidende Erkennungsmerkmale der Kunst von Monika
Baer. Sie ermöglichen es ihr, die Dinge buchstäblich in der Schwebe zu
halten und gleichzeitig platte Illustrationen und abstrakte Beliebigkeiten
zu vermeiden.

Beide: Monika Baer, Ohne Titel
(Serie von 12 Aquarellen auf Karton), 1993
Sammlung Deutsche Bank, © Galerie Barbara Weiss, Berlin
1993 schuf die Künstlerin in Anlehnung an Delfter Kacheln eine Serie von
blauen Aquarellen, in der sie die Bestandteile der späteren Bilder bereits
exemplarisch vorwegnahm. Die kleinformatigen Blätter zeigen in mit Weiß
gehöhtem Blau auf rosa Untergrund menschliche Figuren in einer nicht näher
definierten Umgebung. Sie gehen, verharren, hocken oder bücken sich, kurz:
vollführen die verschiedensten Handlungen, ohne dass man den genauen Grund
dafür entdecken könnte. Die Figuren werden so zu Chiffren – zu
stilisierten Formen und bildnerischen Kürzeln, die archetypisch für
Tätigkeiten stehen, sich aber in keinerlei sinnhaften Zusammenhang
einordnen lassen.
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