Die Wahrheit des Archivs Armin Linkes Fotografie
zwischen Dokument und Fiktion
 Armin
Linke bei seinem Artist's Talk
im Deutsche Guggenheim, März 2008 Foto
Mathias Schormann
Ob er das Venetian Hotel
in Las Vegas, Carlo Mollinos Teatro Regio oder die monumentalen Straßen im
nordkoreanischen Pjöngjang mit der Kamera festhält - mit seinen
Fotoarbeiten erschafft der Mailänder Künstler Armin Linke einen beständig
wachsenden Bildatlas der globalisierten Welt. Sein monumentaler C-Print
"Tokyo Ski Dome" ist derzeit in der Ausstellung "True North" im Deutsche
Guggenheim zu sehen. Brigitte Werneburg über Armin Linkes
konzeptuelle Fotokunst.
 Armin
Linke bei seinem Artist's Talk
im Deutsche Guggenheim, März 2008 Foto
Mathias Schormann
Mathematisch exakte 26,666
Minuten dauerte Armin Linkes
Slide show im Vortragssaal des Deutsche
Guggenheim. In dieser Zeit zeigte der Mailänder Fotograf 800 Bilder,
von denen jedes genau zwei Sekunden auf der Leinwand stand. Armin Linke,
der im Rahmen der True
North-Ausstellung zum Künstlergespräch nach Berlin gekommen war,
machte ernst mit der Redewendung von der Bilderflut. Nicht im Sinne der
allzu bekannten, banalen Kritik an der Reizüberflutung, der wir uns heute
ausgesetzt fühlen. Denn eventuell glauben wir einfach nur, dieses Gefühl
haben zu müssen. Wir können uns vielleicht mehr zutrauen als wir gemeinhin
vermuten: Die differenzierten Fragen aus dem Publikum im Anschluss an den
26,666-minütigen Bildersturm jedenfalls zeigten, dass die Besucher ihm
durchaus gewachsen waren. Armin Linkes Performance war ein Exempel auf
unsere Geistesgegenwart und benannte zugleich ein wesentliches Moment des
fotografischen Diskurses - das Archiv.
 Armin
Linke, Three Gorges Dam, construction
of a lift for ships Yichang (Hupeh) China Courtesy
Klosterfelde, Berlin, © Armin Linke
Tatsächlich versucht der Mailänder Künstler seine Bilder
immer innerhalb eines klaren Systems von Verweisen und nicht als einzelne
Fotografien zu zeigen. Er setze auf den Vergleich und nicht auf die
Stilisierung der einzelnen Arbeit zum ikonischen Kunstwerk wie er 2003 in
einem Gespräch für sein Buch Transient
sagte. Dem entsprechend folgt Armin Linke bei der Präsentation seiner
Aufnahmen gerne dem Modell des Archivs.
 Armin
Linke, Huis Ten Bosch Resort, Nagasaki Japan Courtesy
Klosterfelde, Berlin, © Armin Linke
Er
überlässt es dem Betrachter, das besondere Bild oder die besondere
Bildfolge in der Masse der Fotografien zu entdecken und macht ihn damit
zum Kurator auf Zeit. Ob auf der Biennale
von Venedig oder zuletzt mit seiner Installation in der Ausstellung You_ser:
Das Jahrhundert des Konsumenten, die seit Oktober 2007 im ZKM
Karlsruhe zu sehen ist, wo Armin Linke eine Gastprofessur wahrnimmt: Immer
wieder ermöglicht er es dem Betrachter seinen eigenen Fotoband
herzustellen - dank elektronischer Scanner und kleiner Drucker, die sonst
Flugtickets ausspucken.
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Armin Linke, Venetian Hotel, Las Vegas,
1999, Sammlung Deutsche Bank
Armin Linkes Diavortrag mischte Bilder von einer
Blumenauktion in Amsterdam mit Aufnahmen vom Drei-Schluchten-Staudamm am
Jangtse in China oder dem G 8 Gipfeltreffen in Genua 2001. Auf ein Bild
vom Venetian Hotel in Las Vegas,
mit dem er in der Sammlung
Deutsche Bank vertreten ist, folgte das Khomeini-Mausoleum in Teheran
oder die Thongil Straße in der nordkoreanischen Hauptstadt Pjöngyang; dann
überraschten das Teatro
Regio von Carlo
Mollino in Turin oder das Porträt zweier Polizisten in der
nigerianischen Metropole Lagos, um nur einige Motive zu nennen.
 Armin
Linke, Carlo Mollino, Teatro Regio, Torino, Italy Courtesy
Klosterfelde, Berlin, © Armin Linke
Zu diesem ambitionierten, auf Vollständigkeit zielenden Bildatlas der
heutigen Welt steht der riesige C-Print des Tokyo Ski Dome (1998),
der in der Ausstellungshalle des Deutsche Guggenheim zu bewundern ist,
natürlich in denkbar größtem Gegensatz. Ohne weiteres könnte man dieses
Panorma einer künstlich geschaffenen Skipiste unter dem weit gespannten
Dach einer Industriehalle der neuen italienischen Landschaftsfotografie
zurechnen, die mit Namen wie Walter
Niedermayr, Massimo
Vitali oder auch Gabriele
Basilico verbunden ist. Denn auch Armin Linke reflektiert in seinem
fotografischen Werk die Topografie einer globalen Welt des Konsums, die er
als paradoxen Raum einer real existierenden Science-Fiction-Szenerie
dokumentiert.
 Armin
Linke, Ski Dome, Tokyo, Japan (from
the Global Box series, 1998-2000), 1998 Foto:
Courtesy Galleria Marabini, ©Solomon
R. Guggenheim Museum, New York ©Armin
Linke
Doch nicht die nüchterne Sensibilität,
mit der Armin Linke in seinen Aufnahmen die Grenze zwischen Dokument und
Fiktion aufhebt, sondern seine bewusste, intellektuelle Auseinandersetzung
mit dem Archiv definiert sein Werk als ein im wesentlichen künstlerisches.
Selbstverständlich argumentiert Armin Linke innerhalb des fotografischen
Diskurses entschieden eigensinnig - wie man es von großen Fotografen
kennt. Anders als sie thematisiert er aber auch die Grundlagen, Regeln und
Institutionen dieses Diskurses in der Aufarbeitung seiner Werks stets mit
und macht sie transparent. Mit dieser Strategie vertritt Armin Linke ein
grundlegendes Konzept zeitgenössischer Kunst.
 Armin
Linke, Oscar Niemeyer, Underground Mobile Walkway, Brasilia, 1999, Sammlung
Deutsche Bank
Dabei ist die besondere
ästhetische Qualität von Armin Linkes Arbeiten ein essentieller
konzeptueller Hintergrund seiner Auseinandersetzung mit der Idee des
Archivs. Dass er die Techno-Architekturen des 20. und 21. Jahrhunderts in
seinen Fotografien als Räume von geradezu immaterieller Erhabenheit
inszeniert, führt beim Betrachten der Bilder zum Verlust des Gefühls für
Größenverhältnisse und Proportionen - einer ebenso irritierenden wie
faszinierenden Wahrnehmungserfahrung. Dem widerspricht nicht, dass es
Armin Linke bei der Produktion der Bilder um größtmögliche Authentizität
geht. Auch der Chronist, als den er sich charakterisiert, wird nur einem
Realitätsausschnitt und damit einer Konstruktion von Welt habhaft - ein
unterhintergehbares Dilemma, das Linke auf zweierlei Art thematisiert.
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