Auratische Wunderkammer Rosemarie Trockels Kunstkosmos im New Museum
Ihr
Werk entzieht sich jeder Kategorisierung. Als bedeutendste deutsche
Gegenwartskünstlerin überrascht Rosemarie Trockel mit immer
wieder neuen Medien und Stilen. Auch in der Sammlung Deutsche Bank ist
sie mit zahlreichen Papierarbeiten vertreten, 1993 entstand exklusiv
für die Bank eine Edition. Und seit 2011 ist ihr Strickbild “Who will
be in in 99?” als Dauerleihgabe der Unternehmenssammlung im Frankfurter
Städel zu sehen. Nun zeigt sie im New Yorker New Museum eine
Ausstellung, die einer Wunderkammer gleicht – eine Retrospektive, in
der Trockel ihre eigenen Arbeiten mit Dingen, Persönlichkeiten und
Kunstwerken verbindet, die sie inspirieren. Cheryl Kaplan über das
Ausstellungshighlight des Jahres.
Rosemarie Trockel, 2010. Photo: Curtis Anderson
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Rosemarie Trockel, Kiss My Aura, 2008. Courtesy Sprüth Magers, Berlin/London, and Gladstone Gallery, New York/Brussels. © Rosemarie Trockel, VG Bild-Kunst, Bonn 2012
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Rosemarie Trockel. A Cosmos. Installation shot. Courtesy New Museum, New York. Photo: Benoit Pailley
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Massimiliano Gioni, Chief Curator New Museum, and Lynne Cooke, curator of "A Cosmos". Photo @ Cheryl Kaplan
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Rosemarie Trockel. A Cosmos. Installation shot. Courtesy New Museum, New York. Photo: Benoit Pailley
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Rosemarie Trockel. A Cosmos. Installation shot. Courtesy New Museum, New York. Photo: Benoit Pailley
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Rosemarie Trockel. A Cosmos. Installation shot. Courtesy New Museum, New York. Photo: Benoit Pailley
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Glass replica of invertebrate sea life by Leopold and Rudolf Blaschka. Photo @ Cheryl Kaplan
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Rosemarie Trockel, Park Avenue, 2006/2011 (detail). Slide projection. Private collection. Courtesy Sprüth Magers, Berlin/London, and Gladstone Gallery, New York/Brussels. © Rosemarie Trockel / VG Bild-Kunst Bonn, 2011
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Rosemarie Trockel, Prime-Age, 2012. Digital print. Private collection. Courtesy Sprüth Magers, Berlin/London, and Gladstone Gallery, New York/Brussels. © Rosemarie Trockel / VG Bild-Kunst Bonn, 2012
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Rosemarie Trockel. A Cosmos. Installation shot. Courtesy New Museum, New York. Photo: Benoit Pailley
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Rosemarie Trockel. A Cosmos. Installation shot. Courtesy New Museum, New York. Photo: Benoit Pailley
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Rosemarie Trockel. A Cosmos. Installation shot. Courtesy New Museum, New York. Photo: Benoit Pailley
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Rosemarie Trockel. A Cosmos. Installation shot. Courtesy New Museum, New York. Photo: Benoit Pailley
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Rosemarie Trockel. A Cosmos. Installation shot. Courtesy New Museum, New York. Photo: Benoit Pailley
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Rosemarie Trockel. A Cosmos. Installation shot. Courtesy New Museum, New York. Photo: Benoit Pailley
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Object by Judith Scott. Photo @ Cheryl Kaplan
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Rosemarie Trockel, Twin 1, 2008. Ceramics glazed. Private collection, Berlin. Courtesy Sprüth Magers, Berlin/London, and Gladstone Gallery, New York/Brussels. © Rosemarie Trockel / VG Bild-Kunst Bonn, 2012
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Der kleine Mann hat einen
Halfter umgeschnallt, in dem keine Pistolen, sondern Whiskeyflaschen
baumeln, am Kopf trägt er zwei große schwarze Federn. Eingeschlossen in
eine Glasvitrine starrt er wie ein durchgeknallter Desperado auf ein
paar Spielzeugpistolen und eine Versammlung von Enten, die auf den
ersten Blick aussehen, als hätte sie eine Kindergartengruppe gebastelt.
Ein ganz normaler Tag im New Museum? Keineswegs. Rosemarie Trockel
ist in der Stadt. Sie ist nicht alleine gekommen, sondern hat auch
gleich ihren ganzen Kosmos mitgebracht – nicht nur ihre eigene Kunst,
sondern ein ganzes Universum von Werken und Dingen, die ihre Welt
prägen. Von Beginn an war der Kuratorin Lynne Cooke
eines klar: „Eine gewöhnliche Retrospektive kommt für die Künstlerin
nicht in Frage.“ Und warum auch? Trockel hat die letzten 30 Jahre die
Kunstszene trickreich unterwandert: Sobald man sie auf einen bestimmten
Stil festlegt, fängt sie mit etwas Neuem an. Etwa mit ihren
Strickbildern, bei denen sie Leinwand und Farbe durch Wolle ersetzt.
Diese Arbeiten machten die in Köln lebende Künstlerin in den 1980ern zu
einem internationalen Star. Ihre Heimatstadt galt damals als eines der
weltweit wichtigsten Zentren der Gegenwartskunst.
An einer
Strickmachine entstand ihre mittlerweile ikonische Serie von
gemusterten Skimasken und Pullovern, deren Motive von Playboy Bunnys
bis hin zu Hakenkreuzen oder Hammer und Sichel reichen. Mit dem
Stricken nutzte Trockel eine seit Jahrhunderten als „typisch weiblich“
konnotierte Technik, um sie gesellschaftskritisch einzusetzen und genau
die Rollenmuster zu hinterfragen, die sich mit Hand- und Heimarbeit
verbinden. Nicht nur das verwirrte das Publikum, sondern auch Trockels
Weigerung, sich auf ein bestimmtes kunsthistorisches Genre zu
beschränken. Gerade als sie durch die Auseinandersetzung mit Minimal,
Moderne und Feminismus so richtig berühmt geworden war, begann sie sich
in völlig unterschiedliche Richtungen zu bewegen – machte Filme
oder Bücher, arbeitete als Malerin und Bildhauerin.
Häufig warf
die Kritik Trockel vor, ihre Arbeit sei rätselhaft, nicht greifbar oder
schwer zu verstehen. Doch das tat dem Erfolg der 1952 geborenen
Künstlerin keinen Abbruch, wie ihre Teilnahme an zahlreichen wichtigen
Ausstellungen beweist – von der Biennale in Venedig, wo sie 1999 den Deutschen Pavillon bespielte, bis zur diesjährigen documenta 13.
Vielleicht ist Trockel selbst der ultimative Desperado der
internationalen Kunstszene, doch ihr jüngstes und vielleicht
wichtigstes Statement ihrer Laufbahn wird selbst jene begeistern, die
denken, dass sie all ihre Tricks kennen. Rosemarie Trockel: A Cosmos
lautet der Titel der ebenso beeindruckenden wie verstörenden
Ausstellung im New Yorker New Museum, die danach auch in der Londoner Serpentine Gallery und der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn zu sehen sein wird.
Voller
Außenseiter und Eigenbrötler, Schönheit und Gewalt, derbem Humor und,
wie es Cooke formuliert, „eigenartigem Realismus“ erinnert die
Ausstellung an eine Wunderkammer
oder ein Kuriositätenkabinett, „die Vorläufer des Museums, wie wir es
heute im Westen kennen“. Zwar ist Trockels Werk zentral für diesen
Kosmos, der sich über drei Etagen des New Museums erstreckt. Doch um
ihre Bilder, Skulpturen und Objekte gruppieren sich Werke von 14
weiteren Künstlern, die in anderen Ländern und zu anderen Zeiten
gearbeitet haben – nicht nur im Bereich der Kunst, sondern auch in der
Mode oder den Naturwissenschaften. Auf der zweiten Etage des Museums
stoßen etwa Maria Sibylla Merians wunderbar zarten, lebensechten Zeichnungen tropischer Flora und Fauna auf Trockels bizarres Memento Mori Picnic ( 2012), einem Schaukasten, die Nachbildung einer verrotteten Hand sowie vertrocknete Ästchen und Blumen enthält.
In
einer anderen Vitrine finden sich die unglaublich wirklichkeitsgetreuen
Glasnachbildungen von Seeanemonen, Quallen und anderen wirbellosen
Meeresorganismen des Vater- und Sohn-Gespanns Leopold und Rudolph Blaschka. Die Qualität der Arbeiten, die die beiden böhmischen Glasbläser in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts für das Harvard Botanical Museum
und andere naturkundliche Sammlungen anfertigten, ist bis heute
unerreicht. Man muss sich Zeit nehmen, um diese faszinierenden Objekte
genau zu studieren, um alle Feinheiten dieser fragilen Modelle genießen
zu können. Eine Erfahrung, die man beim Rundgang durch A Cosmos
noch häufiger machen wird – und die die Geschwindigkeit, mit der man
sonst gerne durch Ausstellungen zeitgenössischer Kunst rauscht,
erheblich verlangsamt.
In der ansonsten in dunkles Umbra
getauchten zweiten Etage ist es allerdings ein etwas versteckter Ort,
der einem das beunruhigendste Erlebnis der gesamten Schau beschert: ein
weiß gekachelter Raum, getaucht in ein kaltes, fast brutal wirkendes
Neonlicht. Er erinnert an eine Verhörzelle, das Labor eines verrückten
Wissenschaftlers oder, wie Trockel erklärt, an einen Fleischerladen.
Von der Decke baumelt eine Palme, an der Wand hängt Replace Me (2011), ein Digitaldruck mit Trockels Version von Gustave Courbets 1866 entstandenem Skandalbild L'Origine du monde
(Der Ursprung der Welt). Wie ein Toupet sitzt hier eine große Tarantel
auf der Scham der Frau. Mit der riesigen, behaarten Spinne zielt
Trockel nicht nur auf eine etwas derbe Analogie zum weiblichen Genital
ab. Sie spielt auch mit der Vorstellung, dass eben an diesem Ort
sozusagen die „Welt gesponnen“ wird, bezieht sich aber auch auf das
uralte Klischeebild von Frauen, die böse Klatschgeschichten „spinnen“.
„In
gewisser Weise“, sagt Cooke, „ist dieser weiß gekachelte Raum das Herz
der Ausstellung: von hier aus spinnen sich die Dinge sowohl
chronologisch als auch konzeptuell weiter. Rückblickend kann man sagen,
dass wir bei der Arbeit an der Ausstellung von zwei Schwerpunkten
ausgegangen sind – unserem gemeinsamen Interesse an Biologie und
Zoologie sowie an Einzelgängern in der Kunstgeschichte, an genannten
Outsider Artists oder Künstlern, die zu wenig Beachtung finden. Auf
gewisse Weise haben wir die Ausstellung rund um diese Themen aufgebaut.
Doch wir haben uns nie zusammengesetzt, um das Ganze zu analysieren.
Wir haben so gearbeitet, wie es Rosemarie normalerweise macht – indem
sie Sachen einfach ausprobiert, um nach der „Trial und Error“-Methode
zu sehen, was funktioniert und was eben nicht. Ich habe ihr
vorgeschlagen an einen Kosmos zu denken, an ein imaginäres Universum
von Dingen, die ihr etwas bedeuten oder die zusammengenommen das Bild
einer imaginären Welt ergeben, mit der sie sich identifizieren kann.
Das war ein sehr offenes Konzept.“
Natürlich haben schon andere Ausstellungen die Wunderkammer als Ausgangspunkt genutzt – etwa Andy Warhols Raid the Icebox 1969 im RISD Museum, für die er das als „Kühlschrank“ bezeichnete Depot des Museums der Rhode Island School of Design
plünderte und Schuhe aus dem 18. Jahrhundert oder vergessene Gemälde
aus den 1920ern mit Gegenwartskunst kombinierte. Oder auch die
MoMA-Schau Wunderkammer: A Century of Curiosities, die 2008 Arbeiten von Louise Bourgeois, Damien Hirst, Otto Dix und James Ensor präsentierte. Lee Miller in Hitlers Badewanne, eine Schriftarbeit von Lawrence Weiner, uralte afghanische Prinzessinen-Skulpturen: Auch das „Brain“ der letzten documenta, in dem die Kuratorin Carolyn Christov-Bakargiev
alle nur erdenklichen Epochen und Strömungen in einer Wunderkammer
vereinte, zeigt wie beliebt die Verweise in die Kunstgeschichte in der
aktuellen Szene sind.
Doch selten gingen solche
Ausstellungen über das Konzept eines Kuriositätenkabinetts zur
Neubelebung der Gegenwartskunst hinaus. Im Gegensatz dazu
ist A Cosmos ein Projekt, das ganz klar darauf
abzielt, gründlich mit unseren Vorstellungen aufzuräumen, wie man Kunst
im Museum betrachtet. Dazu gehört auch ein radikales Infragestellen des
akademischen Kunstbegriffs und der ständigen Jagd nach neuen Trends und
Künstlern. Könnte diese Ausstellung als ein Prototyp dienen, der die
übliche Suche nach dem nächsten heißesten, besten, jüngsten,
sensationellsten Künstler beendet? Das wäre nicht schlecht. „Uns
interessieren“, so Cooke, „die durchlässigen Stellen, die Übergänge
zwischen bildender und angewandter Kunst oder Kunsthandwerk. Sie
ermöglichen eine schärfere, zugleich aber spielerische Kritik.“
Massimiliano Gioni, der Chefkurator des New Museum, bezeichnet A Cosmos
als „Autobiografie in Bildern“. Doch diese Ausstellung ist nicht nur
eine Zusammenstellung von seltsamen Objekten und Artefakten, die
Trockels persönliche Mythologien illustrieren, so befremdlich auch
Arbeiten wie Fly Me to the Moon 2012 erscheinen. Es geht vielmehr um einen Dialog oder gar eine Kollaboration. Diese gemeinsam mit dem deutschen Künstler Gunter Weseler
realisierte Arbeit besteht aus einer alten Kinderwiege, in der eine
schlafende Babypuppe liegt, die mit einer Art Raumfahreranzug bekleidet
ist. Das Baby kuschelt sich an ein undefinierbares Stofftier mit langem
schwarz-weiß-grau gefärbtem Pelz, das sanft vor sich hin atmet und
dadurch auf befremdliche Weise lebendig wirkt. Hin und wieder ist ein
Schlaflied zu hören. Woher es genau kommt, ist nicht zu sagen. Über der
Wiege hängt jedenfalls keine Spieluhr, nur ein leerer Haken – armes
Baby.
Gelegentlich wirkt Trockels Schau wie ein Jahrmarkt der Außenseiter. So ist James Castle
mit seinen Papierenten vertreten. Sein ganzes Leben lang schuf der
gehörlose und stumme Autodidakt Zeichnungen und Assemblagen aus
gefundenen Materialien wie weggeworfenem Papier oder
Lebensmittelverpackungen. Oder Judith Scott,
die gehörlos und mit dem Down Syndrom auf die Welt kam. Für ihre
kokonartigen Verpackungsskulpturen hat sie unterschiedlichste Objekte
obsessiv mit farbigen Garnen umwickelt. Es gibt in New Museum aber auch
exotische Attraktionen zu sehen, etwa einen gigantischen präparierten
Hummer aus dem Delaware Museum of Natural History. Cedric, so der Name des 1964 gefangenen Krustentiers, wurde als Ersatz für Salvador Dalis berühmtes Aphrodisisches Telefon (1936) verpflichtet, dessen Hörer aus einem Hummer besteht. Für Lucky Devil
(2012) hat Trockel eine Krabbe auf einem Stapel von Wollstücken
platziert – Reste ihrer Strickbilder, die sie berühmt gemacht haben.
Tiere sind hier nicht nur in Form von Ausstellungsstücken präsent,
sondern auch als Künstler beteiligt. So sind drei lyrisch-abstrakte
Gemälde von Tilda zu sehen, einem Orang-Utan-Weibchen aus dem Kölner Zoo, dessen Bilder Trockel sammelt.
In seinem Stop-Motion-Trickfilm Die Rache des Kameramanns von 1912 erzählt Wladyslaw Starewicz
die surreale und bezaubernd morbide Dreiecksgeschichte zwischen zwei
Käfern und einem Grashüpfer, die er mit realen Insekten in Szene
gesetzt hat. Seine Protagonisten durchleben Liebesfreud und -leid,
verfolgen sich durch Hotels und Nachtbars, fliehen über Schornsteine,
liefern sich handfeste Prügeleien, nur um sich dann wieder in die Arme
(oder die Klauen?) zu fallen. Immer wieder hat auch Trockel selbst mit
Tieren gearbeitet – etwa bei dem Haus für Schweine und Menschen, das sie gemeinsam mit Carsten Höller auf der documenta X
errichtete. Höller beschrieb dieses Projekt einmal als „Denkmal der
Unbegreiflichkeit“. In diesem Sinne braucht man sich auch erst gar
nicht zu bemühen, Trockel in irgendwelche kunsthistorischen Kategorien
zu stecken – sie wird eh immer wieder ausbrechen.
Im dritten
Stock des Museums nimmt die Schau dann eine plötzliche Wendung – hin
zur Moderne – mit wollenen, handgestrickten Bildern. Die blauen,
monochromen Arbeiten wie etwa Sky und Kind of Blue (2012) erinnern an Kasimir Malewitsch oder Yves Klein, andere an die minimalistischen Gemälde von Agnes Martin.
Dazu erläutert Lynn Cooke: „Das monochrome Bild ist die Quintessenz der
abstrakten Malerei des 20. Jahrhunderts mit all ihren unterschiedlichen
Themen – beispielsweise der Transzendenz bei Malewitsch oder Mondrian.
Trockel vermeidet bei diesen Wollgemälden allerdings ganz bewusst das
heroische Element, das Pathos, das Größe meist mit sich bringt.
Stattdessen sind diese Arbeiten amüsant und ironisch. Sie sind aus
dicker Wolle, ganz so als wären sie für ein sehr kaltes Klima gemacht.
Dazu kommen noch diese etwas billig wirkenden Bordüren, die ganz
wunderbar und lustig sind.“
Auch zahlreiche Arbeiten aus der Sammlung Deutsche Bank
dokumentieren, wie Trockel bereits früh in ihrer Laufbahn die Moderne
aufgreift, um sie zu unterwandern. Sie verwendet ihre Formensprache, um
daraus etwas ganz eigenes zu entwickeln. So etwa bei ihrem
Strickbild Who will be in in 99?, das als Dauerleihgabe im Frankfurter Städel Museum zu sehen ist. Als Hommage an Malewitschs „Schwarzes Quadrat“ schwebt die 1988 entstandene Arbeit über dem Hauptraum der neuen Gartenhallen
– wie eine russische Ikone über Eck gehängt. Auf dem Seidentuch, das
1993 als Edition für die Sammlung Deutsche Bank entstand, finden sich
neben Trockels eigenen "Schizo-Pullovern"
mit ihren zwei Halsausschnitten auch geometrische Formen, die typisch
für die Kunst des Konstruktivismus sind. Auch die auf Schwarz, Weiß und
Signalrot reduzierte Farbigkeit der Edition verweist auf die russische
Avantgarde.
Die Formensprache des Konstruktivismus findet sich
auch auf den Buchentwürfen wieder, die im vierten Stock des Museums zu
sehen sind. Gleich daneben kann man Trockels eigenwillige Keramiken
bewundern, die an Mutationen erinnern und vor Energie zu vibrieren
scheinen. Lynn Cooke erläutert, wie sie entstehen: „Um diese seltsamen,
an Korallen und andere Unterwassertiere erinnernden Strukturen zu
erzeugen, wirft Trockel buchstäblich den Ton auf eine Oberfläche. Für
andere Keramiken formt sie Fleischstücke ab, um diese Objekte dann in
strengen Rastern anzuordnen. Ihre Welt bewegt sich zwischen den beiden
Polen Ordnung und Unordnung.“
Trockel hat für ihre Ausstellung
nicht nur einfach die Kunstgeschichte und die Naturwissenschaften
geplündert. Sie hat unsere Vorstellungen vom Museum entrümpelt, es von
altem Ballast befreit und mit einer widersprüchlichen Welt gefüllt, die
zugleich gewaltig und trivial, tragisch und komisch, heilig und pervers
ist. Reales und Surreales trifft hier unvermittelt aufeinander. Ihre
Einzelgänger und Außenseiter stehen für eine ganz eigene Form von
Realismus, die uns vielleicht dabei helfen kann, Kunst mit neuen Augen
zu sehen. Bestimmt hat Rosemarie Trockel aber eine der faszinierendsten
Welten geschaffen, durch die wir uns seit langem bewegt haben.
Rosemarie Trockel: A Cosmos Bis 20.01.2013 New Museum, New York
13.02. – 07.04. 2013 Serpentine Gallery, London
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