"Fast wie bei Doktor Frankenstein": Interview mit John
Baldessari
Noch zwei Tage bis zur Eröffnung der Ausstellung
Somewhere Between Almost Right and Not Quite (With Orange) im Deutsche
Guggenheim. John Baldessari, 73,
ist mitten im Aufbau, um ihn herum werden die Bilder gehängt, er selber
bespricht gerade letzte Einzelheiten der geplanten Kunst-Edition, die
anlässlich der Schau erscheinen soll. Er hat einen langen Tag hinter sich,
macht aber insgesamt einen zufriedenen Eindruck. Beim Gehen merkt man,
dass er humpelt: Vor ein paar Tagen hat er sich den linken Fuß verstaucht,
der jetzt in einer elegant-unauffälligen Schiene steckt. Sie ist schwarz,
wie auch die Jeans und das T-Shirt, die er trägt. Dann, im
Besprechungszimmer, ist er trotz Müdigkeit auf einmal hochkonzentriert.
Ein sanfter Riese, und - keine Frage - ein Profi durch und durch. Das
Interview führte Ulrich Clewing.

John Baldessari, Deutsche Guggenheim, Oktober 2004
Foto: Maria Morais
Herr Baldessari, in Ihrem
aktuellen Katalog gibt es ein altes Zitat von Ihnen. Sie sagen dort, dass
die Maler, die Sie am meisten bewundern,
Giotto und
Henri Matisse sind. Weshalb gerade diese beiden?
John
Baldessari: Weil sie beide für ein Paradox stehen. Beide mögen in
ihrer Kunst auf den ersten Blick vielleicht relativ einfach erscheinen,
sind aber tatsächlich sehr komplex. Sie bieten beiden etwas: dem
Kunstkenner und dem interessierten Laien. Das klingt zuerst wie ein
Widerspruch, funktioniert aber trotzdem. Sowohl Giottos als auch Matisses
Werke können auf zwei denkbar unterschiedlichen Ebenen verstanden werden.
Ich glaube, das ist eine recht seltene Qualität, von der ich vermute, dass
sie für jeden Künstler erstrebenswert ist. Auf jeden Fall sind sie für
mich in gewisser Hinsicht zu einer Art "role model" geworden.
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Henri Matisse: Goldfisch und Skulptur
(Le Poissons) , 1911
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Giotto di Bondone: Das Opfer
Joachims, Scrovegni-Kapelle in Padua, 1305/06
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Manche Kritiker zählen Sie zur Pop Art, andere halten
Sie für einen Konzeptkünstler. Welcher Richtung würden Sie sich selbst
zuordnen?
Kategorisierungen sind generell schwierig. Es sind
auf ihre Art immer Hilfskonstruktionen, die meist am Kern der Sache vorbei
gehen. Ich habe einmal einen engen Freund von mir, den Bildhauer
Claes Oldenburg, einen Pop Art Künstler genannt, worauf er mir vehement
widersprach und meinte, er sei einfach nur ein Künstler. Ehrlich gesagt
habe ich den Eindruck, dass niemand gerne in die eine oder andere
Schublade gesteckt wird. Andererseits: Als ich in den späten sechziger
Jahren so langsam bekannt wurde, war man entweder Minimalist,
Konzeptualist oder man war Maler. Nachdem ich damals gerade mit der
Malerei aufgehört hatte, schien ich am ehesten zu den Konzeptualisten zu
passen. Ich selber würde das allerdings so nicht sagen. Und ich hatte auch
einmal eine Ausstellung in der
Hayward Gallery, wo man mich unter die Pop Art subsummiert hatte. Die
Menschen brauchen offenbar Kategorien, das lässt sich wohl kaum ändern.
Sie haben Ihre Karriere als Maler begonnen, dann aber damit aufgehört. Weshalb?
Ich habe nie Probleme mit der Malerei gehabt. Im Gegenteil: Mir wurde quasi
von klein auf beigebracht, dass Kunst Malerei bedeutet - und umgekehrt
Malerei Kunst. Doch nach einer Weile fing ich an, über diese Grenzen
hinaus zu denken. Ich kam zu der Überzeugung, dass Kunst nicht
zwangsläufig nur aus Malerei und Bildhauerei bestehen muss.
In Ihrem aktuellen Zyklus Somewhere Behind Almost Right and Not Quite
(With Orange) haben Sie als Grundelemente Standbilder aus Kinofilmen
benutzt. Aus welchen Gründen?

John Baldessari: aus der Serie Black Dice / Schwarze Würfel, 1982 Sammlung
Deutsche Bank
Als ich zum ersten Mal in
meiner Kunst
"film stills" verarbeitete, waren sie einfach sehr günstig zu
bekommen. Ein anderer Grund war, dass ich damals an etwas interessiert
war, was man vielleicht vielschichtige Ikonographie nennen könnte. Das
mussten im übrigen keineswegs nur Fotos aus Kinofilmen sein, sie konnten
auch aus privaten Fotoalben stammen oder aus Zeitungen oder von mir auf
der Straße aufgelesen worden sein. Mit anderen Worten: Es ging mir darum,
allgemein zugängliche, allgemein verständliche Bilder nach meinen eigenen
Vorstellungen umzudeuten. Es ist das gleiche wie mit unserem Wortschatz:
Den gebraucht man ja auch, anstatt ständig seine eigenen Wörter zu
kreieren.
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Seinerzeit lebte ich in
Los Angeles und dort werden halt die meisten Kinofilme gedreht. Ich stieß
auf ein Geschäft, in dem man alte Filmfotos billig kaufen konnte. Die habe
ich dann mit Fotos aus Illustrierten vermischt. Dann habe ich die Fotos
nach Sinnzusammenhängen geordnet, die, auf denen irgendwie Pistolen zu
sehen waren, standen für Gewalt, küssende Paare für Liebe und so weiter.
Was diese Bilder am Ende alle gemeinsam haben, ist, dass sie Klischees
sind. Ich empfand es als reizvoll, diese an sich komplett inhaltsleeren
Bilder mit neuen Bedeutungen zu versehen. Das war fast wie bei
Doktor Frankenstein (lacht): Du versuchst, etwas mit neuem Leben zu
füllen, aber es wird nie wieder dasselbe Leben sein wie zuvor. Das ist gar
keine so schlechte Metapher, glaube ich.

John Baldessari: Beast (Orange)
Being Stared At: With Two Figures (Green, Blue), 2004
©2004 John Baldessari
Sie haben in den
sechziger Jahren damit angefangen,
Fotografien auf Leinwände zu drucken.
Die dominante
Kunstrichtung damals war der
Abstrakte Expressionismus. Und die gängige Kritik daran war, dass das auch
jedes Kind machen könne. Ich war dieses Kommentars irgendwann überdrüssig
und dann dachte ich, warum den Leuten nicht das geben, was sie wollen? Die
Kombination von Bild und Text, so meinte ich, würde eher dem unmittelbaren
Erfahrungshorizont entsprechen. Auf Leinwand druckte ich die Fotos, weil
ich der Ansicht war, dass sie dadurch eher als Kunst akzeptiert würden.
Bei einer Leinwand denkt man automatisch, dass es sich dabei um "Kunst"
handelt, selbst wenn gar nichts drauf ist.

John Baldessari: Econ-O-Wash, 14th and Highland,
National City, Calif., 1967-68 ©2004
John Baldessari
Ich würde Sie jetzt gerne
mit ein paar Begriffen konfrontieren und Sie sagen mir, was Ihnen dazu
einfällt. Was ist mit dem Begriff Fotografie?
Nun, wie
gesagt, ich komme ja eigentlich von der Malerei und als Maler war ich ein
Künstler, der als Handwerkszeug Farbe und Pinsel benutzte. Und wenn ich
eine Kamera in die Hand nehme, bin ich halt ein Künstler, der eine Kamera
benutzt. Das ist wirklich nur ein kleiner Unterschied. Ich erinnere mich
noch als Student sehr befremded gewesen zu sein, dass es eine
Kunstgeschichte und eine Geschichte der Fotografie gibt. Ich fragte mich,
warum man beide nicht zusammenfassen konnte, schließlich handelte es sich
doch bei beiden um visuelle Kunst. Ich würde sagen, eine Fotografie ist
ebenso wie ein Gemälde eine Form von visueller Information. Und ein Foto
ist auch formal gesehen eine Komposition aus Licht und Schatten und
Farben, genau wie ein Gemälde. Der einzige Unterschied ist, dass sie aus
verschiedenen Materialien bestehen.
Was ist mit dem Begriff
Farbe?
Als Maler verwendet man Farbe normalerweise auf eine
intuitive Art und Weise: so und so viel Grün hier, so und so viel Rot da.
Dem wollte ich etwas entgegen setzen. Ich habe versucht, Farben als
Signale zu benutzen, als eine Art Farb-Code. Rot würde dann Gefahr
bedeuten, Grün Sicherheit etc. Ungefähr so wie die Farbtafeln, die man in
den Fernsehshows sieht. Auch dort gibt es ein festes System, nachdem die
Farben angeordnet sind und über das man nicht immer wieder von neuem
nachdenken muss, auf das man sich verlassen kann. Was ist mit
"Schönheit"?

Fissures (Orange) and Ribbons (Orange, Blue):
With Multiple: Figures (Red, Green, Yellow),
Plus Single Figure (Yellow) in Harness (Violet) and
Balloons (Violet, Red, Yellow, Grey), 2004
©2004 John Baldessari
"Schönheit" war früher
unter Konzeptkünstlern ja ein richtiges Schimpfwort. In den letzten Jahren
hat sich das wieder etwas geändert. Ich kann an Schönheit nichts Schlimmes
finden, zumal jeder seine eigenen Vorstellungen davon hat, was schön ist.
Ich glaube, es war der englische Kunstkritiker
John Ruskin (1819-1900), der einmal gesagt hat, dass er Künstler für
besonders gefährlich hält, weil die imstande seien, sogar im Müll auf der
Straße noch Schönheit zu entdecken.
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