Energetisch aufgeladene Liniengeflechte Die Deutsche
Bank fördert die große Brice Marden-Retrospektive im Hamburger Bahnhof
 Brice
Marden, Dragons, 2000-2004 Privatsammlung
©2006 Brice Marden/Artists
Rights Society (ARS), New York
Bereits im
New Yorker Museum of Modern Art und im San
Francisco MoMA begeisterte die bislang umfassendste
Brice-Marden-Retrospektive die Kritik und das Publikum. Am 12. Juni kommt
die Werkschau mit Unterstützung der Deutschen
Bank nach Berlin – in den Hamburger
Bahnhof, wo sich erstmalig in Europa Gelegenheit bietet, die gesamte
Spannbreite von Mardens Oeuvre zu erleben.
 Brice
Marden, The Seasons, 1974-75 ©2006
Brice Marden/Artists Rights Society (ARS), New York
Die
umfassende Überblicksschau beinhaltet mehr als 50 großformatige Leinwände
und viele Zeichnungen aus Mardens
40-jähriger Schaffenszeit. Sie beginnt chronologisch bei den monochromen,
farblich gedämpften Tafeln, die zwischen den 1960er und 80er Jahren
entstanden, mit denen er sich in der minimalistischen New Yorker Szene
etabliert. In den 1960er Jahren, einer Zeit, in der das kaum mehr
revolutionär war, beginnt er mit monochromatischen Malereien. Mittels der
Proportionen seiner rechtwinkligen Bildfelder, den Parallelen und
Diagonalen sowie dem Wechsel zwischen Hell und Dunkel übersetzt er
menschliche Emotionalität in ein abstraktes Bild. Obwohl er sich bei
seinen Titeln oft auf Phänomene der Natur oder Landschaft bezieht, etwa
bei dem zwischen 1974 und 1975 entstandenen The Seasons oder seinem
berühmten Gemälde Nebraska (1966), malt Marden keine
Bäume oder Felsen. Vielmehr ist sein Ziel, eine innere Qualität in Bezug
auf die Dinge sichtbar zu machen. In diesem relativ eng abgegrenzten Feld
der ungegenständlichen Malerei entwickelt er ein sehr reiches
Formenvokabular, das sich zwischen rationalem Kalkül und fast religiöser
Intuition bewegt. Diese tiefe Konzentration verlangt viel Zeit: Oft
arbeitet er an einem Gemälde mehrere Jahre.
 Brice
Marden, Study for the Muses (Hydra Version), 1991-95/1997 ©2006
Brice Marden/Artists Rights Society (ARS), New York
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Brice Marden, Epitaph Painting 5, 1997-2001 ©2006
Brice Marden/Artists Rights Society (ARS), New York
Unter
dem Einfluss der chinesischen Kalligraphie
und der Lyrik von Han-Shan,
die er auf Reisen in den fernen Osten kennen lernt, gewinnt das
Zeichnerische Mitte der achtziger Jahre zunehmend größere Bedeutung. Die
Serie Cold Mountain (1989) bildet einen Höhepunkt dieser
Entwicklung. Mit schwarzer Farbe schreibt er hier die Schriftzeichen auf
den weißen Malgrund. Die Linien durchdringen sich dabei, werden immer
wieder übermalt, verselbständigen sich schließlich. Die Schrift wird zur
Bildsprache. Der expressive Duktus lässt wiederum an die komplexen,
energetisch aufgeladenen Liniengeflechte Jackson
Pollocks denken. "I am Nature." Für Brice Marden ist dieser Ausspruch
Pollocks eines der bedeutendsten Statements der Moderne. Das verwundert
nicht, wenn man Kunst und Geisteshaltung der beiden amerikanischen
Künstler vergleicht. In seinen Action
Paintings, bei denen er Farbe aus dem Pinsel oder direkt aus der Tube
auf die Leinwand tropfen ließ, ging es Pollock darum, seiner elementaren
Natur direkten malerischen Ausdruck zu verleihen. Im heftigen Gestus
seiner "drip paintings", die er oft in einem Zustand der Trance schuf,
manifestiert sich eine gewaltige Energie. Im vielschichtigen Liniengewirr
wird eine erstaunliche physische und psychische Dichte spürbar.
 Brice
Marden, 4 and 3 Drawing, 1979-81 Sammlung
Phil Schrager, Omaha ©2006 Brice
Marden/Artists Rights Society (ARS), New York
Im
Gegensatz zu Pollock ist Brice Marden kein Erfinder, kein radikaler
Erneuerer der Kunst. Der 1938, zweieinhalb Jahrzehnte nach Pollock
geborene Künstler, sieht sich vielmehr in einer Mittlerrolle zwischen den
Menschen und den im Unsichtbaren wirkenden sprituellen Kräften. Hierbei
greift er die Traditionen der Moderne und des Abstrakten
Expressionismus auf und reflektiert sie in einem zeitgemäßen Kontext.
Wie er dabei die Möglichkeiten der abstrakten Malerei auslotet und neu
definiert, lässt sich an zwei seiner jüngsten Werke ermessen, die in der
Retrospektive erstmals gezeigt werden. Die beiden sechsteiligen Versionen
von The Propitious Garden of Plane Image (2000-2006), an denen
Marden über Jahre hinweg arbeitete, bilden so etwas wie eine Essenz seines
Schaffens und lassen in ihren gewaltigen Ausmaßen die Intensität seiner
Malerei mit allen Sinnen spürbar werden.
 The
Propitious Garden of Plane Image, Second Version, 2000-2006 Courtesy
Matthew Marks Gallery, New York ©2006
Brice Marden/Artists Rights Society (ARS), New York
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