Vom Underground zu Sotheby's Der Siegeszug der Street
Art
Spätestens seitdem ein Banksy
beim Londoner Auktionshaus Sotheby's für über 300.000 Pfund versteigert
wurde, gilt Street Art als das neue Lieblingskind der Sammler. Doch ihren
Durchbruch erlebten Graffiti bereits in den Achtzigern - als Künstler wie
Keith Haring oder Futura 2000 auch von der Sammlung Deutsche Bank erworben
wurden. Tim Ackermann über den Siegeszug einer Subkultur.
Banksy
verzweifelt gesucht: Mit dem anonymen Street-Art-Megastar hat der
Kunstbetrieb in den letzten Jahren ein menschliches Äquivalent zum
Ungeheuer von Loch Ness hervorgebracht. Jedes Jahr pünktlich zum
Sommerloch überbieten sich die britischen Medien in ihren Versuchen, das
Phantom mit der Sprühdose aufzuspüren. Banksy konnte seine Identität und
seinen Aufenthaltsort jedoch stets verschleiern. Die Anonymität ist
allerdings auch sein Schutzschild. Schließlich wird er von der Polizei
gesucht.
 Banksy,
Can't Beat the Feeling, 2006, Sammlung
Deutsche Bank
Ungefähr acht Jahre ist es
her, dass im Londoner East End erstmals subversive Schablonensprühbilder
auftauchten: Kleine anarchistische Ratten, die Schlösser knackten, Löcher
in Fußböden sägten, offizielle Hinweisschilder übermalten oder sonst
irgendwie Sand ins Getriebe der Großstadt streuten. Anderenorts gab es
Bilder von kleinen Mädchen, die Luftballons fliegen ließen oder zwei
Polizisten, die sich innig küssten. Unter der Eisenbahnbrücke in
Shoreditch lauerte eine Horde Affen, darunter die bedrohliche
Prophezeiung: "Lacht nur, doch bald haben wir die Macht." Diese Kunst war
lustig und zynisch, poetisch und politisch zugleich. Sie war großartig und
kostenlos.
Der Künstler mit dem Tarnnamen "Banksy"
besitzt einen ziemlich schwarzen Humor sowie ein ausgeprägtes Gespür für
die Ikonen der Kunst – und für Zeitgeschichte, was er auch in seinen
späteren Verkaufswerken offenbart. In Can't beat the feeling
etwa, einer Arbeit, die heute zur Sammlung
Deutsche Bank gehört, kombiniert er die bekannte Fotografie eines
vietnamesischen Mädchens, das vor den Napalmbomben der US-Armee flüchtet,
mit Bildern von Micky Mouse und Ronald McDonald.
 Banksy,
Stop and Search, 2007 Courtesy
the artist and Lazarides Gallery (c)
Banksy, 2008
Schon seit seinen Anfängen
hatte die Londoner Bevölkerung Banksys pointierte – wenn auch nicht immer
leicht zu goutierende – Sprühbilder in ihr Herz geschlossen. Die Arbeiten
gehören mittlerweile zum Stadtbild, manche werden sogar von den
Kommunalverwaltungen gepflegt. Im Moment ist allerdings fraglich, ob sich
Banksy auch in Zukunft auf den Straßen herumtreiben und die Kunstwelt mit
immer gewagteren Aktionen und sarkastischen Wandbildern begeistern wird.
Diesen
Sommer hat die britische Daily
Mail ein Foto abgedruckt, das angeblich den Sprühkünstler zeigt, und
auch gleich einen Namen mitgeliefert – Robin Gunningham. Mag dieser
neueste Enthüllungsartikel ein Zeichen sein, dass die Luft für das Phantom
Banksy dünner wird – der Hype um den Graffitistar wächst und wächst.
Längst sind es nicht mehr nur Brad
Pitt, Angelina Jolie,
Christina Aguilera oder Dennis
Hopper, die sich für die Bilder des Engländers interessieren. In den
letzten zwei Jahren hat Banksy einen beispiellosen Eroberungszug auf dem
Kunstmarkt hingelegt. Für die Leinwandversionen seiner
Schablonensprühbilder werden mittlerweile astronomische Preise gezahlt.
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Paul Insect, Dead Sid on Gold, 2007 Courtesy
the artist and Lazarides Gallery Copyright:
Paul Insect, 2008
Im Oktober 2007 fiel
der Hammer im Auktionshaus Sotheby's
für einen echten Banksy erst bei 322.900 Pfund. Ein anderes Bild wurde in
diesem Jahr für 208.100 Pfund bei ebay versteigert – mitsamt der Hauswand,
auf das es gesprüht war, wohlgemerkt. Der unbekannte Sammler, der nach
Berichten der B.Z.
in Berlin eine gesprühte Ratte von Banksy aus einer Friedhofsmauer meißeln
ließ und die Wand danach für 20.000 Euro restaurierte, hat dagegen ein
echtes Schnäppchen gemacht.
So groß ist die Aufregung um
Banksy, dass er quasi im Alleingang die Street Art als neues großes
Phänomen des Kunstmarkts etabliert und für eine ganze Reihe anderer
"Straßenkünstler" die Tore den Galerien weit aufgerissen hat: Als Paul
Insect, der in der gleichen Londoner Galerie wie Banksy gezeigt wird,
2007 seine erste Ausstellung bekam, war sie schon vor der Eröffnung
ausverkauft: Damien
Hirst hatte eine halbe Million Pfund locker gemacht.
 Faile,
Braving Faile, 2006/2008 Courtesy
the artist and Lazarides Gallery Copyright:
Faile, 2008
Handelt es sich hier also um
den nächsten großen Ausverkauf einer urbanen Subkultur – einer Kultur
zumal, die durch die temporäre Inbesitznahme des Straßenraums stets ein
gestörtes Verständnis des Begriffs Privateigentum besaß? Ganz so einfach
stellt sich die große Marktoffensive der Street Art nicht dar, denn die
Szene war nie wirklich homogen. Anfang der Achtziger, als die Five
Boroughs von New York von einem dichten Netz Graffiti-Signaturen überzogen
war, als Zeitungen Geschichten über bekannte Sprayer wie Taki
183 veröffentlicht und die Fotografen wie Henry
Chalfant die vollgetaggten U-Bahn-Züge New Yorks festhielten – als das
subkulturelle Phänomen Graffiti also kurz davor war, ernsthaft mit einem
Sprung über den Atlantik nach Europa anzusetzen, entwickelte sich der
Begriff "Street Art" als Beschreibung für eine spezielle Untergattung der
Sprühkunst. Der Engländer John
Fekner, der mit seinen Slogans und gesprühten Daten selbst zu den
Pionieren dieser Richtung gehörte, erinnert sich in dem Buch Street
Art – The Graffiti Revolution an die Skepsis der Szene
gegenüber der neuen Bezeichnung: "Wir haben über den Begriff 'Street Art'
gelacht. Wer einen Hochschulabschluss hatte, machte kein Graffiti, sondern
'Street Art'."
Auch wenn Fekners Einschätzung in ihrer
Generalisierung nicht ganz zutreffend ist, hat sich doch ein fundamentaler
Unterschied erhalten: Klassische Graffiti-Writer arbeiten für einen
hermetisch abgeriegelten Insiderkreis. Mit den kaum decodierbaren
Buchstabenkombinationen ihrer "tags" hinterlassen sie ihre Spuren
möglichst weiträumig im Stadtraum und kommunizieren so untereinander,
nicht jedoch mit dem Rest der Öffentlichkeit.
 Futura
2000, ohne Titel, 1984, Sammlung
Deutsche Bank
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