Dominique Gonzalez-Foerster
TH-2058, 2008
© Dominique Gonzalez-Foerster. Photo: Tate Photography
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Dominique Gonzalez-Foerster
TH-2058, 2008
© Dominique Gonzalez-Foerster. Photo: Tate Photography
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Francis Bacon, Three Studies for Figures at the Base of a Crucifixion, c.1944, Tate © Tate
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Francis Bacon, Triptych - In Memory of George Dyer, 1971, Fondation Beyeler, Basel, © Estate of Francis Bacon. All Rights Reserved, DACS 2008. Photo: Peter Schibli, Basel
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Mark Rothko, Red on Maroon, 1959, Tate ©1998 by Kate Rothko Prizel and Christopher Rothko
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Mark Rothko, Untitled, 1969, National Gallery of Art, Washington, Gift of the Mark Rothko Foundation, © 1998 Kate Rothko Prizel and Christopher Rothko
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Cildo Meireles, Eureka / Blindhotland, 1970-5, Tate, Copyright the artist
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Cildo Meireles, Mission/Missions (How to Build Cathedrals), 1987, Daros-Latinamerica, © Cildo Meireles
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Andy Warhol, Liza Minnelli, 1977, The Andy Warhol Museum, Pittsburgh; Foundling Collection © 2008 The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, Inc. All rights reserved
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Andy Warhol, Self-Portrait with Skull, 1977,The Andy Warhol Museum, Pittsburgh; Foundling Collection © 2008 The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, Inc. All rights reserved
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Robin Rhode, New Kids on the Bike, 2002, Copyright Robin Rhode, Courtesy the artist and Perry Rubenstein Gallery
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Gerhard Richter, 4900 Colours: Version II, 2007, La Collection de la Fondation Louis Vuitton pour la création
© 2008 Gerhard Richter
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"Das, was wir machen, machen wir einfach außerordentlich gut!" - So lautet das selbstbewusste Credo, mit dem Amanda Sharp, Co-Direktorin der Frieze Art Fair, das Erfolgsgeheimnis der Londoner Kunstmesse erklärt. Neben der Art Basel und der Art Basel Miami Beach gehört die noch relativ junge Frieze nach nur fünf Jahren zu den wichtigsten Kunstmessen der Welt – mit einem Programm, das sich ganz bewusst auf Positionen der Gegenwartskunst fokussiert. Die Frieze Art Fair vollbringt jedes Jahr im Oktober das Kunststück, zugleich Besuchermesse und eines der wichtigsten Events für Sammler, Künstler und Szenegänger zu sein. Fast 70.000 Kunstinteressierte strömten letztes Jahr in die Messezelte. Superlative und Spitzenverkäufe allerorten. Gerade deshalb wurde die Messe angesichts von drohender globaler Rezession neben den gleichzeitig stattfindenden Londoner Herbstauktionen zum Barometer für die aktuelle Entwicklung auf dem überhitzten Kunstmarkt. Nur wenige Wochen zuvor hatte Damien Hirst auf einer Sotheby's-Auktion seine eigenen Werke versteigern lassen und damit Rekordsummen erzielt. Doch würde die Blase jetzt platzen? Die Prognosen pendelten zwischen völliger Katastrophenstimmung und gedämpfter Hoffnung. Tatsächlich sollten die Optimisten Recht behalten. Nicht nur, dass die hohen Besucherzahlen gehalten werden konnten. Auch wenn die Zurückhaltung bei den Sammlern deutlich spürbar war, und das Ausbleiben einiger bedeutender Sammler auffiel, übertrafen die Verkäufe die negativen Erwartungen bei weitem. Während ausgerechnet ein amerikanischer Sammler bereits zu Beginn des Vernissagentages bei der Londoner Lisson Gallery eine von Anish Kapoors gewölbten Stahlskulpturen für 875.000 Pfund erwarb und Hauser & Wirth ihren Stand komplett ausverkauften, konnten auch kleinere Galerien durchaus solide Verkaufszahlen vermelden.
Ausgezeichnet war auch die Stimmung in der VIP-Lounge der Deutschen Bank, die in diesem Jahr dem Thema "Artists as Teachers" gewidmet war. Im Zentrum des minimalistischen Ambientes stand Tony Craggs riesige, aus tausenden von Spielwürfeln zusammengesetzte Skulptur Secretions (1998), die sonst in der Eingangshalle des Londoner Hauptsitzes der Deutschen Bank die Besucher empfängt. Zwischen Werken von Damien Hirst, Bernd und Hilla Becher, Thomas Ruff und Candida Höfer trafen sich die Gäste aus der Kunst- und Finanzwelt zum Austausch, wobei die entspannte Gesprächsatmosphäre in der Lounge inzwischen zum festen Bestandteil der Frieze gehört.
Dass die Londoner die Messewoche im Oktober inzwischen „Frieze Week“ getauft haben, zeigt, wie fest die mit fünf Jahren noch relativ junge Veranstaltung inzwischen im kulturellen Alltag der britischen Hauptstadt verankert ist. Ein Grund dafür ist die gute Zusammenarbeit der Frieze mit den Galerien und Museen, die ihre interessantesten Ausstellungen in den Herbst legen. Und davon können Londonbesucher auch noch lange nach der Messe profitieren. Gleich zwei Künstlerikonen werden mit fulminanten Ausstellungen in der Tate gefeiert. Neben der Mark Rothko-Werkschau ist die Francis Bacon-Retrospektive in der Tate Britain das absolute Highlight dieses Herbstes. Niemand hat den Urschmerz der menschlichen Existenz besser eingefangen als er. Chronologisch führt die Ausstellung durch den wohl eigenwilligsten Malerkosmos des 20.Jahrhunderts, der geprägt ist von Bacons atheistischer Sicht auf ein Dasein, in dem es keinen Gott und keine Erlösung gibt, in dem der Mensch nichts anderes ist als ein Tier, geleitet von Instinkten und Trieben. Bereits das von den Eindrücken des 2. Weltkriegs geprägte Frühwerk aus den vierziger Jahren ist von schonungsloser Brutalität und Körperlichkeit und zeigt die Eigenwilligkeit und Einzigartigkeit von Bacons Position. In einer von abstrakter Kunst geprägten Epoche legte Bacon ein Arsenal von massenmedialen und reproduzierten Images an, die ihm als Grundlage seiner Malerei dienten: Katalogbilder von Werken aus allen Epochen, Fotografien, Ausrisse aus Zeitungen und Magazinen, Filmbilder, private Aufnahmen. Wer denkt, er kenne Bacon bereits, sollte die Retrospektive besuchen. Ein großes Verdienst der Ausstellung ist es, dass sie diesem Quellenmaterial eine ganze Sektion widmet und darüber hinaus selten ausgestellte Werke aus Privatbesitz zeigt. Dazu gehört etwa das legendäre Triptychon May-June 1973, das Bacon in Erinnerung an seinen Lebensgefährten, den Boxer und Eastender George Dyer, malte, der sich 1971, kurz vor Eröffnung der großen Bacon-Schau im Grand Palais in Paris in einem Hotelzimmer das Leben nahm. Seine Malerei solle direkt in das Nervensystem eindringen, hat Bacon einmal gesagt. Tatsächlich ist der Besuch der Londoner Retrospektive ein absolut intensives Erlebnis.
Dass die Tate Modern in der internationalen Kunstlandschaft Maßstäbe setzt, bei denen es nicht nur um Protz und Prestige, sondern um wegweisende und auch durchaus streitbare kuratorische Positionen geht, beweisen gleich mehrere Ausstellungen in der ehemaligen Turbinenhalle. So mancher Besucher mag sich noch an den gigantischen Riss erinnern, den die kolumbianische Künstlerin Doris Salcedo im Rahmen der jährlichen Unilever Series für ihre Arbeit Shibboleth 2007 in den makellosen Betonboden der Turbinenhalle hauen ließ - in Anspielung auf die dunkle Seite der Moderne, zu der globale Menschrechtsverletzungen, Ausbeutung und ein weltweit wachsender Abgrund zwischen Arm und Reich gehören. Die Spur dieses Werkes zieht sich noch immer wie eine Narbe über den Beton und wirkt wie ein schweres Vermächtnis an Salacedos Nachfolgerin Dominique Gonzales-Foerster, die in diesem Jahr ihre Arbeit für die Unilever-Serie präsentiert. Der Beitrag der französischen Künstlerin ist ästhetisch ein überwältigendes Erlebnis und wirkt auf den ersten Blick grandios. Doch bewahrheitet sich hier das Motto, dass weniger manchmal mehr ist: im Vergleich zu Salacedos reduziertem Eingriff wirkt Gonzales-Foersters Umgang mit dem Raum sehr effektbetont und konzeptionell etwas schwachbrüstig. Mit ihrer Installation TH2058 entwirft sie eine Art Kunst-Sience Fiction. Hierbei bildet der Text, der den Besucher in der Halle empfängt, den Prolog zur Story: Seit Jahren regnet es unablässig in London, und das verändert auch Denken, Leben und die Kultur der Menschen, die von endlosen Wüsten träumen. Und auch auf die Skulpturen im urbanen Raum hat der Regen eine merkwürdige Wirkung – sie wachsen wie Pflanzen und werden immer größer. Um diese Entwicklung zu stoppen, hat man sie in der Turbinenhalle der Tate Modern untergestellt, die zugleich als Notunterkunft für Regenopfer dient.
Und so kann der Besucher zwischen hunderten von bunt lackierten Stockbetten und überdimensionale Nachahmungen von Louise Bourgeoises Stahlspinne oder Skulpturen von Alexander Calder, Henry Moore oder Claes Oldenburg umherwandeln. Um das apokalyptische Szenario zu komplettieren, hat Gonzales-Foerster auf den Betten Bücher wie etwa J.G. Ballards The Drowned World ausgelegt, während auf einer riesigen Leinwand Schnipsel von Endzeit-Klassikern wie Planet der Affen, Solaris oder Fahrenheit 451 zu sehen sind. Man fühlt sich wirklich beinahe wie in den letzten Tagen der Menschheit, unter Riesenskulpturen klein wie ein Sandkorn. Vielleicht kann man sich auch Gedanken machen, was von der Moderne bleibt, wenn ökologische und soziale Systeme zusammenbrechen. Doch im Grunde erinnert die Installation an eine intelligente Geisterbahn, ein absolut sehenswertes, superlatives Vergnügen, das sich gegenüber realen Katastrophen allerdings etwas harmlos ausnimmt. Superlativ geht es auch in den oberen Stockwerken der Tate Modern weiter. Neben den konzeptionell-poetischen Rauminstallationen von Cildo Meireles, der zu den bedeutendsten brasilianischen Gegenwartskünstlern zählt, ist die spektakuläre Mark Rothko-Retrospektive zu sehen, die bereits in Hamburg Kritiker und Publikum begeisterte. Die Schau konzentriert sich auf das fulminante Spätwerk des Amerikaners und zeigt unter anderem die 16 Seagram Bilder - das epische Vermächtnis des abstrakten Expressionismus.
Ein weiterer Kunst-Gigant wird in der Hayward Gallery im Southbank Centre vertreten, dem Kunstzentrum am Südufer der Themse, gleich neben Royal National Theatre und Shakespeare's Globe. Selbst wer dachte, er kenne Andy Warhol bereits in- und auswendig wird mit der Schau Other Voices, Other Rooms eines besseren belehrt. In einer aufwendig designten Ausstellungsarchitektur kann man hier neben Warhols Filmen auch rare Videodokumentationen sehen, zum Beispiel Liza Minelli zu Besuch in der Factory. Der eigentliche Clou sind allerdings die Beiträge zu Warhols Fernsehprogramm, die über unzählige Monitore flimmern - umwerfend komische und schlaue Interviews mit legendären Größen der US-Kultur, wie etwa Diana Vreeland, Henry Geldzahler, Blondie, John Waters oder Larry Rivers. Im oberen Stockwerk zeigt der Street Art-Künstler Robin Rhode neue Arbeiten. Der in Berlin lebende Südafrikaner macht Straßen, Asphalt und Fassaden zu seinen Leinwänden und verhandelt ethnische und geopolitische Konflikte mit spielerischer Leichtigkeit.
Auch die anderen Londoner Institutionen warten mit Ausstellungen auf, die bereits für sich alleine einen Wochenendausflug lohnen. Während die Whitechapel Gallery im East End vier Filmarbeiten des jungen Amerikaners Ryan Trecartin präsentiert, zeigt die Serpentine Gallery in den Kensington Gardens neue Rasterbilder von Gerhard Richter. Die von ihm speziell für die Serpentine entwickelten 49 Bilder von 4900 Colours loten in kaleidoskopischen Farbfeldern die Grenzen der Malerei aus. Spektakulär ist zudem der temporäre Pavillon der Galerie, Frank Gehrys erstes in England realisierte Projekt, in dem die "Park Nights" mit Konzerten und Talks stattfinden. Die Saatchi Gallery hingegen, vielleicht Londons bekannteste kommerzielle Kunsthalle, deren Gründer Charles Saatchi einst einen wichtigen Anteil am Ruhm der YBAs hat, konzentriert sich derweil auf die Propagierung einer der jüngsten Kunstszenen der Welt. Ihre Protagonisten könnten schon bald ebenso bekannt sein wie damals Damien Hirst und seine Kollegen. Es ist bezeichnend, das der PR-Experte Saatchi mit The Revolution Continues: New Chinese Art gerade rechtzeitig zur Frieze sein neues Quartier in Chelsea eröffnete und so den jungen Chinesen gleich doppelte Aufmerksamkeit beschert. Zhang Xiaogangs grau getönte Familienbilder oder die Leinwände von Yue Minjun mit ihren breit grinsenden Gestalten gehören allerdings nicht gerade zu den innovativsten Positionen aus China. Eine Revolution sieht anders aus. Vielleicht eher wie Sun Yuan und Peng Yus bizarres Rollstuhlballett. Hyperrealistische, lebensgroße Figuren von Greisen, die die Welt bewegten, von Castro, Breschnew oder Arafat, benutzen ihre Vehikel hier wie Autoscooter und rammen sich kraftlos gegenseitig an. Ein Besuch der Schau aber lohnt sich in jedem Fall. Die eleganten Räume der frisch renovierten ehemaligen Militärvilla des Duke of York würden jede Ausstellung zu einem Erlebnis machen. Auch wenn sich der Hype um die chinesische Kunst plötzlich und unerwartet abkühlen sollte und die Konkurrenz nicht schläft - die britische Metropole wird ihre Anziehungskraft für die internationale Szene so schnell nicht verlieren. London rules!
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