Jules Olitski, Lysander I, 1970, Solomon R. Guggenheim Museum, New York, Photo: David Heald, © Jules Olitski/VAGA, New York/VG Bild-Kunst, Bonn 2010
|
Raymond Parker, Untitled, 1959. Solomon R. Guggenheim Museum, New York. Photo: Kristopher McKay
|
Frank Stella, Harran II, 1967, Solomon R. Guggenheim Museum, New York, Photo:
David Heald, © VG Bild-Kunst, Bonn 2010
|
Morris Louis, Saraband, 1959, Solomon R. Guggenheim Museum, New York
|
|
|
Ein Nebel aus strahlendem Gelb, Orange, Pink. Jules Olitskis Gemälde Lysander I (1970) wirkt wie ein Kondensat der Psychedelic Sixties - von LSD, Summer of Love, den Lightshows hipper Diskotheken. "Nichts als Farben, die man in die Luft gesprüht hat und die einfach geblieben sind", so hat der Künstler selbst seine Gemälde beschrieben. Und tatsächlich erschafft Olitski hier einen suggestiven Farbraum, der den heutigen Betrachter auch an die Installationen von Olafur Eliasson denken lässt, in denen man sich tatsächlich durch farbig leuchtende Nebel bewegen kann.
Olitski gilt als einer der wichtigsten Protagonisten der Farbfeldmalerei, einer amerikanischen Kunstströmung, der das Deutsche Guggenheim seine aktuelle Ausstellung widmet. Color Fields, von Richard Armstrong, dem Direktor des New Yorker Guggenheim Museums kuratiert, zeigt 13 Künstler, die die ganze Bandbreite dieser Bewegung repräsentieren - von Mark Rothkos erhabenem, wie ein modernes Andachtsbild anmutenden Gemälde No. 18 (Black, Orange on Maroon) (1963) bis zu Frank Stellas Harran II (1967). Mit seinen geschwundenen Formen, über die sich ein rigides, quadratisches Gitter legt, verbindet Stellas Shaped Canvas minimalistische Abstraktion mit den dekorativen Geometrien der islamischen Kunst. Neben solch bekannten Namen präsentiert die Ausstellungshalle Unter den Linden auch Neu- und Wiederentdeckungen. Etwa Alfred Jensen, der gleichermaßen von Goethes Farbenlehre wie vom Kalender der Maya beeinflusst war. Seine seriellen Abstraktionen mit ihren rasterartig angeordneten Drei- und Vierecken zeugen von Jensens Faszination für magische Zahlensysteme.
Auch Olitski dürfte den meisten Ausstellungsbesuchern kaum bekannt sein - trotz der Tatsache, dass ihn Clement Greenberg noch 1990 als den "größten lebenden Maler" bezeichnet hat. Der einflussreiche Kunstkritiker war ein wichtiger Förderer der Farbfeldmalerei, die mit ihrer Betonung der Charakteristika des Mediums Malerei - Flächigkeit, Farbauftrag, optische Wirkung - seine formalistische Doktrin zu bestätigen schien. Dank Greenbergs Unterstützung vertrat Olitski gemeinsam mit Roy Lichtenstein, Ellsworth Kelly and Helen Frankenthaler die USA 1966 bei der Venedig-Biennale und 1969 ehrte ihn das New Yorker Metropolitan Museum of Art als ersten lebenden Künstler mit einer Einzelausstellung.
Statt von "Color Field Painting" sprach Greenberg selbst lieber von "Post Painterly Abstraction" - so auch der Titel einer von ihm 1964 im Los Angeles County Museum of Art organisierten Schau. Er zeigte dort Künstler wie Gene Davis, Helen Frankenthaler, Kenneth Noland, die auch im Deutsche Guggenheim vertreten sind. Greenberg betrachtete sie als eine Gegenbewegung zum Abstrakten Expressionismus, der für ihn im Laufe der fünfziger Jahre seine innovative Kraft eingebüßt hatte. Statt mit dickflüssiger Farbe, die in gestischen Pinselstrichen auf die Leinwand gebracht wurde, arbeiteten Colorfield-Künstler wie Frankenthaler oder Morris Louis mit stark verdünnten Pigmenten. Statt um Spiritualität und Emotionalität ging es ihnen um Fragen der Wahrnehmung und des Farbauftrags. So verwendete Frankenthaler eine Dose, in die sie ein Loch gestanzt hatte, um Farbe auf ihre unbehandelten Leinwände tropfen zu lassen. Die dabei entstehenden Farbpfützen wurden so belassen oder auf der Oberfläche verteilt. Daraus resultierten, wie etwa auf Canal (1963), diffuse, wolkige Formen in semi-transparenten, atmosphärischen Tönen. Frankenthalers Gemälde wirken wie gigantische Aquarelle. Noch radikaler verabschiedete sich Olitski von künstlerischer Handschrift und malerischem Gestus. Er griff zu einem Instrument, das unter ernsthaften Künstlern verpönt war - der Spritzpistole. Diese Verwendung einer "kommerziellen" Technik lässt ebenso an die Strategien der Pop Art denken wie die quasi-mechanistischen Streifenbilder von Kenneth Noland, deren exakte Konturen mit Hilfe von Klebebändern entstanden. Wie Andy Warhol beschäftigte er in seinem Atelier Assistenten, die es ihm ermöglichten zwischen 1967 und 1970 mehr als 200 Bilder mit den für ihn typischen horizontalen Streifen zu produzieren.
Scheint Color Field Painting zunächst der Pop Art diametral entgegengesetzt, so gibt es doch noch weitere Berührungspunkte zwischen diesen beiden wichtigen Strömungen in der US-Kunst der sechziger Jahre. Beide setzen sich bewusst vom "problembeladenen" Abstrakten Expressionismus ab. Beide zeichnet eine gewisse Coolness aus. Und sie reflektieren einen massiven gesellschaftlichen Wandel, der in den frühen Sechzigern einsetzte. Standen die vorangegangenen Dekaden noch unter dem Eindruck der Schrecken des Zweiten Weltkriegs, war die nachfolgende Generation von einem neuen Optimismus beflügelt, der sich auf weite Bereiche der damaligen Kultur übertrug. Verkörpert wird dieser Geist nicht zuletzt von John F. Kennedy, dem jüngsten gewählten Präsidenten der Vereinigten Staaten.
Die jugendliche Energie dieser Dekade spiegelt sich in vielen der in Color Fields gezeigten Arbeiten ganz unmittelbar wieder. Zugleich demonstriert die Ausstellung die ungebrochene Relevanz abstrakter Kunst für die folgenden Generationen. "Sie ist ein überaus fruchtbares Feld, das wir noch kaum erkundet haben", erklärte Kenneth Noland 1994, "und junge Künstler werden darauf zurück kommen. Da bin ich ganz sicher." Man muss nur Anselm Reyles Streifenbilder oder Katharina Grosses Farbräume betrachten, um zu erkennen, dass Noland Recht behalten hat.
Color Fields
22. Oktober 2010 – 10. Januar 2011
Deutsche Guggenheim, Berlin
|