Fabian Marti. Photo Lukas Wassmann. Courtesy of Galerie Peter Kilchmann, Zurich
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Fabian Marti, Mutterkorn, 2011. Silver gelatine print. Deutsche Bank Collection. Courtesy of the artist and Galerie Peter Kilchmann, Zurich
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Fabian Marti, Untitled, 2011. Silver gelatine print. Deutsche Bank Collection. Courtesy of the artist and Galerie Peter Kilchmann, Zurich
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Fabian Marti, Exhibition view: “Illuminations. 54. International Art Exhibition“ . Biennale di Venezia, Venice, Italy, 2011. Photo: Michele Lamanna. Courtesy of the artist and Galerie Peter Kilchmann, Zurich
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Fabian Marti, Exhibition view: Kunstverein Braunschweig, 2011. Courtesy of the artist and Galerie Peter Kilchmann, Zurich
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Fabian Marti, Exhibition view: “Time for the monkeys to move into hyperspace”. Kunstmuseum, Winterthur, Switzerland, 2011. Photos: Gunnar Meier Courtesy of the artist and Galerie Peter Kilchmann, Zurich
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Fabian Marti, White Cube (Color Change), 2011. Glaze, fired clay. Courtesy of the artist and Galerie Peter Kilchmann, Zurich
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Fabian Marti, Tenebrae, 2010. Color, resin, plaster. Courtesy of the artist and Galerie Peter Kilchmann, Zurich
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Fabian Marti, Exhibition View: “ELM MR CL MYMULW“. Galerie Hans-Trudel-Haus, Baden, Switzerland, 2010. Photo: Gunnar Meier. Courtesy of the artist and Galerie Peter Kilchmann, Zurich
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Fabian Marti, La Femme qui Veut, 2008. Ink jet print on paper. Courtesy of the artist and Galerie Peter Kilchmann, Zurich
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Fabian Marti, Spiritual Me I, 2008, Ink jet print on paper. Courtesy of the artist and Galerie Peter Kilchmann, Zurich
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Fabian Marti, Hey, now, it's the sun (Amanita Muscaria), 2008, Ink jet print on paper. Courtesy of the artist and Galerie Peter Kilchmann, Zurich
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Fabian Marti, The Now, 2010, Ink jet print on paper. Courtesy of the artist and Galerie Peter Kilchmann, Zurich
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Fabian Marti, UHU, 2007, Ink jet print on paper. Courtesy of the artist and Galerie Peter Kilchmann, Zurich
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Die Arme und Beine werden kalt, der Puls ist kaum
spürbar. Dazu kommen Verwirrtheit und Wahnvorstellungen. Ganze
Landstriche wurden im Mittelalter vom „Antoniusfeuer“ verheert – einer
Vergiftung, verursacht durch das Mutterkorn. Der vor allem auf Roggenähren wachsende Pilz enthält eine Vielzahl toxischer Alkaloide. Mutterkorn, so hat Fabian Marti auch die 2011 entstandene, großformatige Fotoarbeit aus der Sammlung Deutsche Bank
betitelt. Mit seinen konzentrischen Kreisen in Schwarz-Weiß entfaltet
das Bild eine hypnotische Wirkung. Wie eine Spirale zieht es den Blick
in die Tiefe.
Marti
ist der Rockstar unter den Schweizer Künstlern. Seine langen dunklen
Haare und der Vollbart lassen ihn wie einen Wiedergänger des späten Jim Morrison erscheinen. Mit dem charismatischen Sänger der Doors teilt Marti ein intensives Interesse am Schamanismus und an bewusstseinserweiternden Erfahrungen. Break on through to the other side
ist der Titel eines der bekanntesten Songs der Doors. Und eben dieser
Durchbruch in eine andere Realität ist auch das Thema des 1979
geborenen Künstlers.
Die Pforten zu dieser Sphäre öffnet auch das Mutterkorn. Das entdeckte der Schweizer Chemiker Albert Hofmann,
als er 1943 im Auftrag des Pharma-Unternehmens Sandoz nach einem
Kreislaufstimulans suchte. Doch die Substanz, die er aus dem Pilz
isoliert hatte, stimulierte eine ganz andere Region des Körpers. Sein Lysergsäurediethylamid
hatte ungeahnte halluzinogene Wirkungen. In den Sixties wurde LSD dann
zu der Party-Droge, mit der eine ganze Generation auf bunte Trips ging.
Für Marti sind psychoaktive Substanzen allerdings vor allem ein Mittel
zum Erkenntnisgewinn: „Ich glaube daran, dass alles Wissen aus
vergangenen Epochen – die gesamte Zeitachse – dem Menschen
eingeschrieben ist. Nicht im Sinne von intellektuellem Wissen. Mehr als
Instinkt oder Emotion. Die Idee geht auf eine Vision zurück, die ich
einmal während eines Pilztrips hatte. Sie fasziniert mich, weil sich
damit eine Gleichzeitigkeit eröffnet, die die Möglichkeit einer
mentalen Zeitreise in sich birgt.“
Das hört sich sehr nach Esoterik und New Age an. Ein Künstler auf den Spuren von Aldous Huxley oder Carlos Castaneda,
die mit ihren Berichten über bewusstseinserweiternde Drogenerfahrungen
einst zu Heroen der Gegenkultur avancierten? Ein Blick auf Martis
Arbeiten macht jedenfalls eines sofort klar: Seine Fotoarbeiten, Filme
und Keramiken sehen extrem gut aus und werden wie verführerische
Fetische in aufwendigen Inszenierungen präsentiert. Ihre dekorativen
Oberflächen fungieren dabei als Einladung, dem Künstler auf seinem Trip
zu folgen. Und der führt nicht nur durch Regionen jenseits von Realität
und Rationalität, sondern ebenso durch die gesamte Kunstgeschichte. Das
Erstaunliche: Es gelingt ihm dabei, selbst Bildern, die schon längst zu
Klischees verkommen sind, ihre ursprüngliche Kraft zurückzugeben. So
dreht sich die Spirale – das in seinem Werk am häufigsten
wiederkehrende Motiv – nicht nur in Duchamps‘ Film Anémic Cinéma (1926). Man begegnet ihr auch in den Augen der Schlange Kaa in Walt Disneys Dschungelbuch (1967) oder in tausenden von Comics. Gleichzeitig ist die Spirale aber auch ein uraltes mythisches Symbol. An solchen „Urbildern“, die frei im menschlichen Unterbewusstsein flottieren, docken Martis Arbeiten an.
Ins Unterbewusste führen auch die fünf weiß glasierten Boxen, die er 2011 bei seiner Einzelausstellung im Kunstmuseum Winterthur
zeigte. Objekte, die an die Minimal Art der Sechziger denken lassen.
Doch die Oberflächen mit ihren Fingerabdrücken, Kratzern und Dellen
hätten Donald Judd kaum
gefallen, stehen sie doch in diametralem Gegensatz zu seinen
makellosen, industriell gefertigten Metallkuben. Der Blick in Martis
Boxen enthüllt zudem, dass die Tentakel, die sich aus ihnen
herauswinden, zu einem Oktopus gehören. Wie Aliens hausen die Kreaturen
in den White Cube betitelten Keramikkisten. Der Titel
signalisiert, dass das Organische, Unreine, Bedrohliche nicht nur
hinter den perfekten Oberflächen der Minimal Art lauert, sondern auch
hinter den Wänden – und nicht nur denen modernistisch-neutraler
Ausstellungsräume. „Der Wahnsinn wird in unserer Gesellschaft
schlichtweg ausgeblendet“, erklärt Marti. „Dennoch brodelt er irgendwo
unter der Oberfläche und kann jederzeit ausbrechen.“
Marti nutzt
nicht nur die Formensprache der Minimalisten, er verarbeitet das
unterschiedlichste visuelle Material: minoische Vasen,
altniederländische Gemälde, Cover trashiger Science-Fiction-Romane.
Afrikanische Masken, die wegen ihrer „Ursprünglichkeit“ schon Picasso
als Inspirationsmaterial dienen mussten, tauchen bei ihm als weiße
Kunstharz-Objekte auf. Sie basieren auf aus dem Internet
heruntergeladenen 3-D-Modellen, die er dann mit geometrischen Formen
kreuzt. Die wiederum sind einem späten Picabia-Gemälde
entlehnt. Das Zitat des Zitats des Zitats. Dies kann man als
Moderne-Kritik verstehen – oder als Ergebnis einer Trophäenjagd, bei
der die Beute zu begehrenswerten Artefakten zusammengesampelt wird.
„Martis Arbeit präsentiert sich als Kunst, die sich in selbstbewusster
Selbstüberschätzung entlang großer Traditionen entwickelt“, so der
Kritiker Daniel Baumann
in Martis erstem Katalog. „Dabei gibt sie sich als ‚Behälterkunst‘ aus
für alles, was wir erhalten möchten und erwarten, oberflächliche
Assoziationen, weit hergebrachte Traditionen, jüngste Neuigkeiten.“
Dass solche Aneignungen auch problematisch sein können, zeigt die Arbeit Spiritual Me
(2008), die es gleich in fünf Versionen gibt. Marti hat die Fotografie
einer barbusigen Afrikanerin, die wie in Trance mit geschlossenen Augen
tanzt, mit schwarzen Klebebändern verfremdet. „Diese Tänzerin, das bin
ich. In ihrer Naivität oder Blindheit der Welt gegenüber fühle ich mich
ihr verwandt“, erklärt Marti im Interview mit der Galeristin Karolina Dankow.
Diese Frau sei für ihn „eine Art Metapher für die künstlerische
Identität.“ Dabei ist ihm durchaus „bewusst, dass dies in gewissem
Sinne eine anmaßende Behauptung ist.“ Doch es bleibt trotzdem
fragwürdig, dass bei Marti „Naivität “ und der „Weg zu einem
‚ursprünglichen‘ kreativen Akt“ auch heute noch durch eine nackte
Stammesfrau aus Afrika verkörpert werden müssen.
Bekannt wurde
der in Zürich lebende Künstler mit Fotogrammen, für die er auf alte
Symbole zurückgriff. Kreuze, Eulen, Totenköpfe, häufig gespiegelt
oder sich überlagernd – Bilder, die wirken, als hätte Moholy-Nagy
das Cover-Design für das Album einer Gothic-Band übernommen. Sie
entstehen mit Hilfe eines Scanners, auf dessen Glaspatte er
verschiedene Objekte platziert. So zeigt Hey, now, it’s the sun (Amanita Muscaria)
(2008) den Lamellenkranz eines Fliegenpilzes – eine riesige Pupille,
die durch ein dunkles Universum zu schweben scheint. Verweise auf Pilze
durchziehen Martis gesamtes Werk. Das liegt an ihrer psychoaktiven
Wirkung, weswegen sie auch in den Ritualen der Schamanen eine zentrale
Rolle spielen. Seit Jahrtausenden bewegen sich diese spirituellen
„Psychonauten“ in den Sphären, die auch der Künstler zu erkunden sucht:
„Schamanen sind die wahren Meister des Bewusstseins“, so Marti. „Sie
haben Zugang zu anderen Realitäten und können uns lehren, unser
Weltbild in Frage zu stellen. Weil alles, was wir wahrnehmen, denken
und tun auf unserem Bewusstsein basiert und Schamanen uns zeigen, dass
dieses Bewusstsein verändert werden kann, kommt man zu dem Schluss,
dass unsere Wirklichkeit, Kultur und sogar die Wissenschaft auf einer
unsicheren Basis stehen.“
Wie ernst ist es ihm mit solchen
Bezügen zu Esoterik, Okkultismus und Bewusstseinserweiterung? Jongliert
er mit diesen Bedeutungen genauso wie mit seinem visuellen Material?
Die Intensität, mit der Marti diese Themen in seinem Werk immer wieder
durchdekliniert, ist jedenfalls von beindruckender Konsequenz. Wenn er
sich allerdings auf einem Katalog-Cover als ein auf dem Sofa träumender
Bohemien inszeniert, dem gerade das Buch Der Geheimkult des heiligen Pilzes
aus der Hand gleitet, deutet dies aber auch ein ironisch gebrochenes
Spiel an – zumindest mit dem Bild des Künstlers als von Visionen
getriebenem Genie.
Martis Sehnsucht nach Authentizität wird
deutlich, wenn er erklärt, dass er mit seinen Keramikskulpturen
angefangen habe, „um direkter, um mit den Händen zu arbeiten“. Das habe
„etwas sehr Archaisches: etwas aus Erde zu schaffen“. Das stimmt
natürlich. Es ist aber zugleich eine Aussage, von der der Künstler ganz
genau weiß, dass sie extrem nach Selbsterfahrung und Töpferkurs klingt.
Ihm ist klar, dass diese Form von Ausdruck und Authentizität, genauso
wie die Spirale, schon längst zum Klischee geworden ist. Marti macht
sich trotzdem an die Arbeit – und das Ergebnis gibt ihm Recht.
Und
was das schwierige Thema „Esoterik“ anbetrifft: Nicht nur für Marti
existiert jenseits von White Cube und Wirklichkeit eine Sphäre, die
sich unserem rationalen Bild der Welt entzieht. Schamanen kennen sie
seit ewigen Zeiten. Doch selbst dem nobelpreisgekrönten Physiker Werner Heisenberg
war klar: „Die existierenden wissenschaftlichen Begriffe passen jeweils
nur zu einem sehr begrenzten Teil der Wirklichkeit, und der andere
Teil, der noch nicht verstanden ist, bleibt unendlich.“ Die Pet Shop Boys drücken das auf ihrer neuen Platte noch einfacher aus: There is a place beyond this world.
Aktuelle Ausstellungen :
Armin Boehm / Fabian Marti / Erika Verzutti 31.08. – 20.10.2012 Galerie Peter Kilchmann Zürich
La jeunesse es un art Jubiläum Manor Kunstpreis 2012 01.09.2012 – 18.11.2012 Aargauer Kunsthaus Aarau
COSMIC LAUGHTER timewave zero, then what? 09.09.– 14.10.2012 Kuratiert von Fabian Marti und Cristina Ricupero Ursula Blickle Stiftung Kraichtal
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