Wangechi Mutu in her studio. Photo: Chris Sanders
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Wangechi Mutu,Exhuming Gluttony: Another Requiem (Detail),2006/2011. Private Collection. © Wangechi Mutu
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Wangechi Mutu, Humming, 2010. Courtesy the artist and Gladstone Gallery New York and Brussels. Collection: Bert Kreuk. © Wangechi Mutu
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Wangechi Mutu, Epiglotus II, 2007. Collection: Amrita Jhaveri. © Wangechi Mutu
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Wangechi Mutu, Drunk Palm IV, 2007. Collection: Amrita Jhaveri. © Wangechi Mutu
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Wangechi Mutu, Elephant Stand, 2011. Courtesy the Artist and Victoria Miro Gallery, London. © Wangechi Mutu
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Wangechi Mutu, Botanical Arrangement Burst, 2011. Courtesy the artist and Gladstone Gallery New York and Brussels. Private Collection. © Wangechi Mutu
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Es ist ein geradezu klaustrophobischer Raum, den jeder Besucher der Wangechi Mutu-Schau in der Kunsthalle Baden-Baden
passieren muss. Seine dunklen Wände sind von Gewehrkugeln zersiebt oder
mit Tierfellen behangen. In der Mitte ein gigantischer Holztisch.
Darüber mehr als einhundert Flaschen, aus denen rote Flüssigkeit auf
die Tischplatte tropft. Exhuming Gluttony hat die
Künstlerin ihr Environment genannt, die Exhumierung der Völlerei. Und
tatsächlich wirkt dieser Raum, als sei er noch vor kurzem Schauplatz
eines opulenten Banketts gewesen. Überfluss und Verschwendung, aber
auch Gewalt und Ausbeutung liegen in der Luft. Mutus Installation
„verschmutzt“ den rationalen White Cube des Ausstellungsraums. Sie
führt den Betrachter in ein düsteres, (alp)traum-artiges Arrangement,
das an archaische Rituale, die blutige Kolonialgeschichte Afrikas oder
ein Endzeitszenario denken lässt.
Mit Solch ungeahnte Tiefen / This Undreamt Descent feiert die Kunsthalle Baden-Baden das Werk einer der eigenwilligsten Künstlerinnen der Gegenwart. Neben Exhuming Gluttony und vier weiteren Installationen präsentiert die von der Deutschen Bank
geförderte Schau 25 von Mutus meist großformatigen Collagen. In
Deutschland wurde sie vor allem durch ihr Ausstellungsprojekt This Dirty Little Heaven 2010 im Deutsche Guggenheim bekannt. Als erste „Künstlerin des Jahres“
der Deutschen Bank verwandelte Mutu die Berliner Ausstellungshalle in
ein suggestives Environment. Mit einfachen Mitteln wie grauen,
filzartigen Decken oder braunem Paketklebeband fertigt sie organisch
wirkende skulpturale Gebilde. Sie bedeckten Wände und Pfeiler der
Ausstellungshalle und bildeten gleichzeitig Rahmen und Hintergrund für
Mutus Papierarbeiten. Nach dem erfolgreichen Debut in Berlin war This Dirty Little Heaven auch im Brüsseler WIELS zu sehen.
Exhuming Gluttony
ist ein passender Einstieg in Wangechi Mutus surrealen Kosmos, den eine
ganze Armada hybrider, Alien-artiger Kreaturen zwischen Mensch, Tier
und Pflanze, Monster und Maschine bevölkert. So auch ihre großformatige
Collage Humming (2010). Sie zeigt den Körper einer schwarzen Frau –
umgeben von wucherndem Steppengras, riesigen Moskitos und Kreaturen,
die sich jeder Kategorisierung entziehen. Die Frauenfigur setzt sich
aus Fragmenten von Anzeigen zusammen, die Mutu aus Hochglanzmagazinen
ausgeschnitten hat. Sie werden mit einer Vielzahl anderer Materialien
wie Glitter oder Plastikperlen kombiniert. Humming ist von betörender
Schönheit – und erst auf den zweiten Blick entdeckt man die klaffende
Wunde am Hals der Frau. Schönheit und Schrecken sind bei Mutu
untrennbar miteinander verbunden.
Ihr visuelles Material
stammt aus ganz unterschiedlichen Quellen: Motive aus der Vogue oder
dem National Geographic kombiniert sie mit Abbildungen aus
Sex-Magazinen oder anthropologischen und medizinischen Büchern. Obwohl
Mutus Gestalten offensichtlich nicht aus dieser Welt stammen, scheinen
sie zumeist doch weiblich zu sein. "Ich beschäftige mich damit, wie
Frauen in den Medien dargestellt werden", erklärt die 1972 in Nairobi,
Kenia, geborene Künstlerin in einem Gespräch mit ArtMag. "Ich schaue
mir an, wie wir uns auf diesen Bildern geben, wo wir sitzen und was wir
tragen. Für mich spiegelt das nicht nur wider, wie Frauen wahrgenommen
werden, sondern auch, wie sich die Gesellschaft selbst sieht. Von
diesem Thema bin ich wirklich besessen." Obwohl sie sich häufig mit
Weiblichkeit, Afrika oder auch "Blackness" auseinandersetzt, stellt sie
diese Begriffe zugleich in Frage.
Der Vorstellung, dass sie eine
"afrikanische" Künstlerin ist, die in ihrer Arbeit von der Kultur ihrer
Heimat zehrt, setzt Mutu, die seit längerem in New York lebt,
multiperspektivische Entwürfe entgegen. Wie viele „Diaspora-Künstler“
verbindet sie Elemente ihrer Heimatkultur mit der des Westens. Dieses
Spannungsverhältnis ist ein zentrales Thema ihrer Arbeit. Dabei bezieht
sie sich auch auf Stars wie Josephine Baker, Eartha Kitt oder Grace
Jones – schwarze Frauen, die als „exotische“ Kunstfiguren westliche
Klischeevorstellungen verkörpern, diese Rollen aber immer wieder
erfolgreich torpediert haben.
Mutus Mischwesen sind in einem
Prozess permanenter Verwandlung begriffen und zeugen von dem Verlust
einer eindeutigen Identität. Die Künstlerin entwirft dabei auch die
Vision einer Zukunft, in der immer mehr Menschen als Migranten und
permanent Reisende zu Bewohnern der "AlieNation" werden. Kulturelle
Identität ist dann nicht mehr durch die geografische Herkunft,
Abstammung oder biologische Anlagen determiniert, sondern wird
zunehmend zum Konstrukt – und das kann man selbst bestimmen und
verändern.
SOLCH UNGEAHNTE TIEFEN / THIS UNDREAMT DESCENT Werke von Wangechi Mutu 14. Juli – 30. September 2012 Kunsthalle Baden-Baden
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