Imran Qureshi, Deutsche Bank’s “Artist of the Year” 2013, at the 18th Biennial of Sydney, 2012. Photo courtesy Imran Qureshi
|
Imran Qureshi ,They Shimmer Still, 18th Biennial of Sydney, 2012. Cockatoo Island, Sydney. Photo courtesy Imran Qureshi
|
Imran Qureshi, Moderate Enlightenment, 2009. Collection: Ali & Amna Naarvi. Courtesy of the artist and Corvi-Mora, London.
|
Imran Qureshi, Moderate Enlightenment, 2009. Private Collection, Venice. Courtesy of the artist and Corvi-Mora, London
|
Imran Qureshi, Moderate Enlightenment, 2009. Courtesy of the artist and Corvi-Mora, London
|
Imran Qureshi in his studio. Photo: Hassam Rana. © Hassam Rana
|
Imran Qureshi, Portraits, 2009. Courtesy of the artist and Corvi-Mora, London
|
Imran Qureshi, How to cut the front of a burqa, 2002. Courtesy of the artist and Corvi-Mora, London
|
Imran Qureshi, How to cut a brassiere, 2002. Courtesy of the artist and Corvi-Mora, London
|
Imran Qureshi, Foundations, 2006. Courtesy of the artist and Corvi-Mora, London
|
Imran Qureshi, Blessings upon the land of my love, 2011. Courtesy of the artist and Corvi-Mora, London
|
Imran Qureshi ,They Shimmer Still, 18th Biennial of Sydney, 2012. Cockatoo Island, Sydney. Photo courtesy Imran Qureshi
|
|
|
Imran Qureshi - Deutsche Bank "Künstler des Jahres" 2013
Wie an unsichtbaren
Fäden aufgereihte Perlen fällt Regen schnurgerade aus einer goldenen
Wolkendecke. Doch die reißt gerade auf und gibt ein Stück dunkelblauen
Himmel frei: Moderate Enlightenment, Imran Qureshis
zwischen 2006 und 2009 entstandene Serie von Miniaturmalereien, zeigt
eine unendlich detailreiche, anrührende Welt. Alles in ihr wirkt fein,
geradezu zerbrechlich – die Grashalme, die aus dem Boden sprießen, die
ornamentalen Äste und Ranken der Büsche und Bäume, die Rahmen und
Muster bilden. Und auch die jungen Männer und Frauen in diesem Kosmos
erscheinen zart und introvertiert. Verträumt lassen sie Seifenblasen
steigen, pusten die Blütenblätter in die Luft, spannen ihren Schirm
auf, oder sind in einsame Spaziergänge vertieft. Ihr Kleidungsstil
weist darauf hin, dass sie muslimischen Glaubens sind. Die
aquarellierten Szenerien wirken so unbeschwert, als müssten sie in
Blattgold und Ornament eingeschlossen werden, um nicht zu verfliegen.
Ein verlorenes Paradies, könnte man meinen. Ein Blick auf die
spirituelle Einheit von Mensch und Natur, auf eine traditionelle,
überschaubare Welt, in der alles in Ordnung, alles an seinem Platz ist.
Doch dieses nostalgische Gefühl ist zu eindimensional, wie sich
bei genauem Hinsehen herausstellt. Denn Qureshi bricht den
erhabenen, fast altertümlichen Eindruck seiner Bilder mit
Insignien weltweiter Freizeitkultur: Seine Protagonisten tragen
Kuriertaschen, Cargo-Shorts und Camouflage-T-Shirts. Der praktische
Militärlook ist ein gängiges Modestatement. Im Zusammenhang mit
Spiritualität und Religion wird er allerdings schnell mit Fanatismus in
Verbindung gebracht. Und schaut man unter diesen „modernen“ Vorzeichen
auf Qureshis Bilder, erscheinen sie auch formal nicht mehr so
eindeutig. Hinter dem Ornament verbirgt sich die Abstraktion. Das
sakrale Gold kann auch das Gold der westlichen Künstler sein, die es in
der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wieder salonfähig machten: Yves Klein, James Lee Byars, Andy Warhol. Die globale Realität hat sich in diese Idyllen eingeschlichen. Und so zitiert der Titel Moderate Enlightenment auch einen Begriff, den der frühere pakistanische Präsident Pervez Musharraf
2003 auf dem Gipfeltreffen der Organisation für Islamische
Zusammenarbeit formulierte. Mit der „Gemäßigten Aufklärung“
beschrieb er den Weg, den die islamische Welt gehen müsse, um aus der
Sackgasse von Fundamentalismus und anti-westlicher Stimmung zu kommen.
In ihrer Komplexität stellt Qureshis Serie beides auf den Prüfstand:
die Rigidität von religiösem Fundamentalismus und die Rigidität
westlicher, „aufgeklärter“ Klischeevorstellungen über islamische
Kultur.
Als einen der bedeutendsten Vertreter der Kunstszene Pakistans hat die Deutsche Bank
Imran Qureshi zum „Künstler des Jahres“ 2013 gewählt. Die Wahl folgt
der Empfehlung des Deutsche Bank Global Art Advisory Council, zu dem
die renommierten Kuratoren Okwui Enwezor, Hou Hanru, Udo Kittelmann und Victoria Noorthoorn
zählen. Mit der Auszeichnung ehrt die Bank junge, internationale
Künstler, die auf individuelle Weise gesellschaftliche Themen
ansprechen und bereits ein bedeutendes Werk geschaffen haben, in dem
Arbeiten auf Papier oder Fotografie eine wichtige Rolle spielen.
Qureshi wird als „Künstler des Jahres“ im Frühjahr 2013 mit einer
umfassenden Einzelpräsentation in der „Deutsche Bank KunstHalle“ in
Berlin präsentiert. Imran Quershi machte 1993 seinen Bachelor am National College of Arts
in Lahore – im selben Studiengang für Miniaturmalerei, in dem er heute
selbst unterrichtet. Und der ist wohl auf der Welt einzigartig. Bereits
in den 1980ern hatte man an der Kunsthochschule in Lahore damit
begonnen, diese alte Kunstform zu verjüngen. Zum Curriculum gehören die
unterschiedlichsten Stile, wie etwa die persischen Schulen oder die
Moghul-Schule, die im Norden des indischen Subkontinents im 16. und 17.
Jahrhundert ihre Blütezeit erlebte. Die Studenten erlernen nicht nur
die komplizierte Technik der Malerei, sondern auch wie sie ihr Papier
in der Wasli-Technik selbst herstellen oder feine Pinsel aus Eichhörnchen-Haar fertigen. Das entspricht dem Leitgedanken der Schule, die 1875 von Lockwood Kipling, dem Vater des Dschungelbuch-Autoren Rudyard Kipling,
mit dem Ziel gegründet wurde, eine neue Generation kreativer
einheimischer Künstler heranzuziehen. Heute bewerben sich jährlich
20.000 Anwärter auf einen Studienplatz. Doch nur 150 werden angenommen.
Und nur etwa ein Dutzend schaffen es in die Klasse für Miniaturmalerei. Dass
diese Klasse so begehrt ist, liegt auch daran, dass Studenten wie
Quershi in den 1990ern damit begannen, die Miniaturmalerei als ganz
aktuelles künstlerisches Ausdrucksmittel zu erweitern. Während sich die
klassische Miniaturmalerei zumeist auf religiöse Erzählungen,
Darstellungen von Kriegsschlachten und höfischem Leben beschränkt,
kombinierten sie die Studenten mit gegenwärtigen Kunstformen, neuen
Medien und konzeptionellen Denken. Sie nutzten sie auch, um die
gesellschaftlichen Entwicklungen in ihrer Region zu kommentieren.
Religion, Geschlechterrollen, Politik, das sind Themen, die in der
jungen pakistanischen Kunstszene auch mit den Mitteln der
Miniaturmalerei verhandelt werden. Das National College of Arts in
Lahore bringt inzwischen neue Künstlergenerationen hervor, deren
Arbeiten immer mehr internationale Beachtung in großen Ausstellungen
und auf Biennalen finden. Das liegt sowohl an den völlig neuartigen
Ausdrucksformen, die die Miniaturmalerei hervorbringt, als auch an den
ganz persönlichen Erfahrungen, die die Künstler aus dieser
krisengeschüttelten Region mit in ihre Werke einfließen lassen. Neben Qureshi ist etwa auch die 1969 geborene Shahzia Sikander
eine Absolventin der Kunsthochschule in Lahore, die den internationalen
Durchbruch geschafft hat. Selbst Muslimin, untersucht die in New York
lebende Pakistanerin in ihren Zeichnungen, Videos, Animationen und
Installationen die formalen Mittel der Miniaturmalerei. Sie hinterfragt
dabei die Rolle der muslimischen Frau und stereotype westliche
Sichtweisen, die den Islam lediglich mit Terrorismus und der
Unterdrückung von Frauen verbinden. Religion, spielt dabei sowohl
in Sikanders Leben als auch in ihrem Werk eine große Rolle.
Ebenso
wie für sie und viele Künstler der jüngeren pakistanischen Generation
bildet das auch für Imran Quershi keinen Widerspruch zu progressivem
und emanzipatorischem, Denken. Im Gegenteil. Gerade in der Verbindung
von tiefer Spiritualität und aufgeklärtem Denken, dem kontinuierlichen
Verhandeln von gegensätzlichen Werten, Traditionen und Ideologien
besteht einzig die Hoffnung, einer fast aussichtslosen Situation zu
entkommen: Seit seiner Unabhängigkeit ist Pakistan Schauplatz
gewaltsamer Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Volks- und
Glaubensgruppen, vor allem zwischen militanten Sunniten und Schiiten.
Zudem wird das Land, seitdem die Militärregierung nach den
Terroranschlägen vom 11. September eine politische und militärische
Allianz mit den USA einging, selbst immer mehr zum Schauplatz von
Terroranschlägen. Gewalt scheint in Pakistan fast alltäglich. They shimmer still – so lautet der poetische und zugleich trotzige Titel von Qureshis Installation für die Sydney Biennale
2012. Über die Treppen und Rampen eines ehemaligen Trockendocks auf
Cockatoo Island im Hafen von Sydney ergießt sich rote Farbe – ganz so
als wären hier Unmengen von Blut vergossen und verspritzt worden. Doch
bei genauerem Hinsehen materialisiert sie sich zu hunderten von
ornamentalen Blüten, die den Beton und das rostige Metall wie Wege und
Inseln überziehen. „Hoffnungskeime“, so nennt Qureshi diese
Blütenranken, die als Zeichen des Aufbruchs, des Entstehens von neuem
Leben verstanden werden können. Wie auch bereits schon die
Installation Blessings Upon the Land of My Love für die Qureshi 2011 auf der 10. Sharjah Bienniale
in den Vereinten Arabischen Emiraten ausgezeichnet wurde, entstand auch
seine Arbeit in Sydney unter dem Eindruck eines Bombenanschlags, den
der Künstler 2010 auf einem belebten Platz in seiner Nachbarschaft
selbst erlebte. Zugleich geht es Qureshi, wie er selbst betont, nicht
nur um die Gewalt in seiner Heimat. Seine Kunst richtet sich ganz
grundsätzlich gegen Gewalt – durch einengende Rollenmuster, politische,
ideologische oder religiöse Systeme.
Qureshis Kunst scheut sich
nicht Trauer und Entsetzten auszudrücken. Doch zugleich thematisiert
sie den ständigen Wechsel zwischen Zerstörung und Schöpfung als
existenziellen Kreislauf, der nicht nur Verzweiflung mit sich bringt,
sondern auch Anlass zur Hoffnung gibt. „Ja, diese Formen
entstammen der Gewalt“, sagte er in einem Interview 2011, „sie
sind mit der Farbe des Blutes verschmolzen und genau hier beginnt
gleichzeitig ein Dialog mit dem Leben, mit neuen Anfängen.“ Immer
wieder tauchen auch in Qureshis Werk diese Hoffnungskeime auf, auch in
seinen Papierarbeiten. Sie winden sich durch Farbspritzer, geometrische
Raster. Sie gehören zu einem ganzen Arsenal von Motiven, die in seinen
symbolischen Landschaften wie feste Zeichen auftauchen. Da sind ovale
Formen, die an Eier oder Blütenkapseln erinnern, an Keime neuen Lebens
oder Schutzhüllen, in denen Erinnerungen, Gedanken oder Gefühle
geborgen sind. Und dann sind da die halbgeöffneten Scheren, die
horizontal oder vertikal in Stellung gebracht sind, um zu trennen,
zuzuschneiden – Wahrnehmungen, soziale Bindungen, Weltbilder. Scheren –
das sind auch Symbole für Gewalt und Zensur.
Eben diese
Gleichzeitigkeit macht Qureshis Werke aus: „Es liegt etwas fast
Paradoxes zwischen Gewalt und Schönheit, zwischen Leben und Tod, die
auf derselben Bildfläche existieren“, äußerte er 2011.
Interessanterweise bildet die Miniaturmalerei die Grundlage für
alles, für kleine Papierformate ebenso wie für riesige, installative
Malereien, die ganze Gebäudekomplexe und Plätze mit einbeziehen können.
Zu Qureshis Ausbildung als Miniaturmaler gehörte auch, als
Ausgangspunkt für jede Arbeit ein Raster anzulegen. Das Einzeichnen der
sogenannten Hashiyas (Grenzen) dient nicht nur als simples Koordinatensystem. Sondern, wie Roobina Karode
in einem Ausstellungskatalog von 2006 über Qureshi schreibt, der
Orchestrierung des erzählerischen Dramas auf möglichst kontrollierte
Weise: „Traditionell werden die haarfeinen Details, die reich
gestalteten Oberflächen ganz sorgsam und präzise über diese
schematische Struktur gelegt – eine Methode, nochmaliges Überdenken und
spontane Hinzufügungen zu verhindern.“
In der Kunst des 20.
Jahrhunderts war das geometrische Raster ein zentrales Ordnungssystem,
ebenso für den Konstruktivismus, wie auch die Minimal-Art. Qureshi
entdeckt es auch im heutigen Alltag, in vorgefundenen Situationen: in
der Architektur, der Beschaffenheit eines Ortes. Die Rillen zwischen
Bodenplatten, die Winkel von Raum- oder Hauswänden, die Fugen zwischen
Mauersteinen, nutzt er ebenso wie das eingezeichnete Raster auf dem
Papier. Doch im Gegensatz zur traditionellen Miniaturmalerei rebelliert
das Ornament gegen das rigide Raster. So wie Qureshi in seinen
räumlichen Installationen, Ornamente wie Moos aus Ecken und Ritzen
quellen lässt, bewegen sie sich auch auf seinen Papierarbeiten weich
und organisch, sie fließen. Auf vielen seiner Bilder korrespondiert das
Ornament auch mit affektgeladenen malerischen Gesten und Farbspritzern.
Qureshis Bilder und Installationen gleichen Landkarten des Fühlens und
Denkens, in denen das Ornament immer wieder mit starren Formen
korrespondiert, sie aufweicht und dialektisch in Frage stellt. Das
Fundament für Qureshis Werke ist dabei ebenso rational wie spirituell.
Sie sprechen beides an: die Notwendigkeit von Aufklärung und die
Notwendigkeit von Glauben und der Bewahrung gewachsener Traditionen.
Das Ornament, das in der Moderne mit Adolf Loos‘ Essay Ornament und Verbrechen
indiskutabel geworden war, spielt bei Qureshi, wie auch bei vielen
anderen Künstlern eine Vermittlerrolle – zwischen den Epochen,
Traditionen, Kulturen. Es ist gerade in einer Zeit globaler Krisen
wieder zu neuer Bedeutung gekommen, als universelle Sprache. Es spricht
bei Qureshi auch von Konflikten und Gewalt. Es spricht aber zugleich
von der großen, einfachen Hoffnung: das alles miteinander verbunden
ist, dass alles Teil einer übergeordneten Lebensenergie ist, die sich
sanft und beharrlich immer wieder gegen Zerstörung und Tod durchsetzt.
|