Annäherungen an die deutsche Realität „Sachsen – Werke aus der Sammlung Deutsche Bank“ im Museum der bildenden Künste Leipzig
Die
Auseinandersetzung mit der deutschen Identität, Visionen der Moderne,
der ideologisch aufgeladene Bilderstreit zwischen Figuration und
Abstraktion: Die Ausstellung „Sachsen – Werke aus der Sammlung Deutsche
Bank“ dokumentiert viel mehr als nur die Vitalität der sächsischen
Kunstszene. Die Schau im Museum der bildenden Künste Leipzig spiegelt
zugleich ein Stück Sammlungsgeschichte und die unterschiedlichsten
Aspekte der jüngeren deutschen Kultur, Politik und Geschichte wider.
Künstlergespräche
|
Sonntag, 17. Februar | 11 Uhr
Thomas Scheibitz & Hans-Werner Schmidt
Sonntag, 3. März | 11 Uhr
Cornelia Schleime & Friedhelm Hütte
|
Sonntag, 24. März | 11 Uhr
Jörg Herold & n.n.
Sonntag, 7. April | 11 Uhr
Via Lewandowsky & Frédéric Bußmann
|
Uwe Kowski, Ohne Titel, 1992. Deutsche Bank Collection. © courtesy Galerie EIGEN + ART, Leipzig/ Berlin/ VG Bild-Kunst, Bonn 2013
|
Cornelia Schleime, Auf weitere gute Zusammenarbeit, 1993. Deutsche Bank Collection. © courtesy galerie michael schultz/berlin
|
Neo Rauch, Weiche, 1995. Deutsche Bank Collection. © courtesy Galerie EIGEN + ART Leipzig/ Berlin/ VG Bild-Kunst, Bonn 2013
|
Carlfriedrich Claus, Untitled, 1972. Deutsche Bank Collection. © VG Bild-Kunst, Bonn 2013
|
|
|
Was verbindet Georg Baselitz, Wolfgang Mattheuer und Eberhard Havekost?
Auf Anhieb nur wenig. Baselitz und Mattheuer trennen nicht nur formal,
sondern auch ideologisch Welten. Und Havekost steht für eine
unterkühlte, konzeptionelle Malerei, die sich Lichtjahre entfernt von
dieser Nachkriegsgeneration bewegt. Doch haben alle drei auf
unterschiedliche Weise die deutsche Gegenwartskunst geprägt. Jeder
dieser Maler steht für eine ganz bestimmte Sicht auf die deutsche
Wirklichkeit. Und sie sind – wie fast alle der 32 Künstler in der
aktuellen Ausstellung aus der Sammlung Deutsche Bank – in Sachsen geboren.
Sachsen,
das ist nicht nur der Geburtsort, der Produktionsort von Kunst oder
ganz schlicht die Heimat, sondern auch der Ausgangspunkt für völlig
unterschiedliche Lebensläufe und Karrieren, die Kunstgeschichte in Ost
und West geschrieben haben. In diesem Sinne entwirft Sachsen – Werke aus der Sammlung Deutsche Bank im Museum der bildenden Künste Leipzig
eine komplexe, durchaus subjektive Topografie einer der spannendsten
Regionen für Gegenwartskunst in Europa. Die Zeichnungen, Druckgrafiken
und Gemälde bilden die unterschiedlichsten Strömungen und
Stilrichtungen ab und umfassen dabei das ganze Spektrum der deutschen
Gegenwartskunst von den 1950er-Jahren bis in das anbrechende neue
Jahrtausend. Die meisten der gezeigten Werke wurden in der Zeit
zwischen Mauerfall und dem Aufstieg der „Neuen Leipziger Schule“ in den
späten 1990ern angekauft – einer Zeit, in der sich Leipzig als
Kunstmetropole mit weltweiter Wirkung etablierte.
Bereits kurz
nach der deutschen Wiedervereinigung begannen regelmäßige Galerie- und
Atelierbesuche der Deutsche Bank-Kuratoren in Leipzig und Dresden.
Viele der sächsischen Künstler, deren Werke in dieser Zeit erworben
wurden, standen noch ganz am Anfang ihrer Karriere, etwa Neo Rauch, der damals als Assistent von Arno Rink an der Hochschule für Grafik und Buchkunst
in Leipzig arbeitete. So dokumentiert die Schau ein entscheidendes
Stück der Geschichte einer Sammlung, die schon immer junge Positionen
förderte und ihre Werke früh erwarb. Zugleich war es der Ankauf von
junger ostdeutscher Kunst, die auch dazu führte, große Einzelgänger in
der DDR-Kunst wieder- und neu zu entdecken: Carlfriedrich Claus und Hermann Glöckner, die auf völlig unterschiedliche Weise an das Erbe der Moderne anknüpfen.
So reicht die Spannbreite der Positionen in Sachsen – Werke aus der Sammlung Deutsche Bank dann auch von Claus und Glöckner bis zu Carsten und Olaf Nicolai, Rauch oder Thomas Scheibitz. Viele der Künstler sind in Sachsen geboren oder leben und arbeiteten hier. Andere wie etwa Cornelia Schleime,
mussten wegen ihrer kritischen Haltung die DDR verlassen. Ein Teil der
Künstler sind zwar in Sachsen geboren, begannen ihre Laufbahn jedoch in
den 1960er-Jahren im Rheinland oder West-Berlin. So sind neben Gerhard Richter auch Imi Knoebel, Blinky Palermo
oder eben Baselitz vertreten. Die Ausstellung folgt all diesen
unterschiedlichen Spuren, verzichtet aber ganz bewusst auf eine
historisch-chronologische Präsentation. Es gibt hier auch keine
Trennung zwischen Ost und West, Schulen oder Strömungen. Stattdessen
gliedert sich die Schau in sechs Sektionen, die zu einer assoziativen
Reise durch die deutsche Gegenwartskunst einladen. Dabei spiegelt sie
auch die unterschiedlichsten Aspekte der jüngeren deutschen Kultur,
Politik und Geschichte.
Neo Rauchs „Werktätige“, die sich wie
Schlafwandler durch rätselhafte Szenarien bewegen, finden sich in der
Sektion „Helden/Anti-Helden“, wo sie auf die in den frühen 1960ern
entstandenen Monstren und Heldenfiguren von Baselitz und Eugen Schönebeck
treffen. Reagieren diese Künstler auf die verdrängte Nazivergangenheit
und den Muff der Wirtschaftswunderära, bezieht sich Wolfgang
Mattheuers Ikarus erhebt sich, das letzte Bild aus seiner 1988 begonnen Suite 89,
ganz unmittelbar auf die politischen Ereignisse in der Endzeit der DDR.
„Den Nerv einer Zeit zu treffen und zu fixieren, jenen neuralgischen
Punkt, der Lust und Schmerz auslöst“, so beschrieb Mattheuer das Ziel
seiner künstlerischen Arbeit.
Um Konstruktivismus und
geometrische Abstraktionen geht es dagegen in der Sektion „Auf Kaltem
Grund“. Doch auch diese formalen Themen sind ideologisch aufgeladen, da
doch die abstrakte Kunst von der offiziellen DDR-Kunstdoktrin als
„kosmopolitisch“ und „imperialistisch“ verfemt wurde. Der Titel der
Sektion ist einer Arbeit von Hermann Glöckner entlehnt, der unbeirrt an
der ungegenständlichen Kunst in der Tradition der russischen Avantgarde
festhielt. Neben Glöckner sind hier Knoebel und Palermo zu sehen. Sie
beeinflussten den Leipziger Maler Kaeseberg, dessen Arbeiten exemplarisch für die Rezeption der Ideen von Kasimir Malewitsch oder Joseph Beuys und seinen Schülern in der jungen DDR-Szene sind.
So
konsequent und eigensinnig wie Glöckner arbeitet auch Carlfriedrich
Claus an seinem „betriebsamen Universum enigmatischer Chiffren“, wie es
die Kunsthistorikerin Sarah E. James
im Ausstellungskatalog formuliert. Claus‘ visuelle Sprachexerzitien
treffen in „Codes“ auf andere künstlerische Formen, die mit Chiffren,
Kalligrafie, Sprach-, Schrift- oder auch Welterklärungssystemen
assoziiert sind. Dazu gehören A.R. Pencks archaisch vereinfachten
Zeichensysteme oder Via Lewandowskys 1987 entstandene, tagebuchartige
Serie von Wachsmalkreide-Zeichnungen. Lewandowsky, der Mitte der
1980er-Jahre die Gruppe der „Autoperforationsartisten“ mitbegründete
und mit extremen Performances die Kunstszene in der DDR aufrüttelte,
nutzt den deformierten Körper als politische Chiffre: Er steht im
radikalen Gegensatz zu dem vom Sozialistischen Realismus propagierten
optimistischen Menschenbild.
Die Werke in „Sachsen – Werke aus
der Sammlung Deutsche Bank veranschaulichen, wie oft sich die Künstler
mit ähnlichen Themen beschäftigen: mit der deutschen Identität, den
Visionen der Moderne, dem ideologisch aufgeladenen Bilderstreit
zwischen Ost und West, Figuration und Abstraktion. Ob in der
beißend-ironischen „Stasi-Serie“ von Cornelia Schleime oder den bis zum
Gefrierpunkt herunter gekühlten Architekturstudien von Eberhard
Havekost – immer wieder wird die Frage virulent, wie Kunst und Künstler
sich der (deutschen) Realität annähern. Die Ausstellung zeigt also
nicht nur Sachsen als sich wandelnden Produktions- und Diskursort für
aktuelle Kunst in den 1990er-Jahren. Sie versucht zugleich ein
Koordinatensystem der deutschen Gegenwartskunst zu entwerfen, in dem
Themen und Fragestellungen sichtbar werden, die bis heute nichts von
ihrer Dringlichkeit eingebüßt haben.
Sachsen — Werke aus der Sammlung Deutsche Bank 7. Februar bis 21. April 2013 Museum der bildenden Künste Leipzig
Katalog: Sachsen – Werke aus der Sammlung Deutsche Bank
mit Beiträgen von Friedhelm Hütte, Sarah E. James und Sebastian Preuss.
Der broschierte Band mit 144 Seiten und 83 Abbildungen ist für 19 Euro
im Museum erhältlich.
|
|