Auf der Suche nach Pakistan: Wie Imran Qureshi als „Künstler des Jahres” in Lahore gefeiert wurde
Imran
Qureshi ist ein global agierender Künstler, dessen Werk tief in der
Kultur seines Heimatlandes Pakistan verwurzelt ist. Jetzt wurde der "Künstler des Jahres" 2013
in Lahore gefeiert. Kolja Reichert hat ihn begleitet. Und von Qureshi
ein Versprechen bekommen: „Du wirst mich von einer ganz anderen Seite
kennenlernen.“
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Imran Qureshi arbeitet auf Socken, fast
lautlos. Doch was er im Berliner Winter auf dem Boden seines
Kreuzberger Ateliers veranstaltet, gleicht einer Explosion in Slow
Motion. Auf goldenem Grund, der in seinen schimmernden Reflektionen an
Filmmaterial erinnert, wachsen mit schnellem Strich rote Blütenblätter,
spitz zulaufend wie züngelnde Flammen. Ein ornamentales Geflecht
breitet sich über die Leinwand aus, das in seiner üppigen Prächtigkeit
zugleich gefährdet erscheint. Verstärkt wird dies durch die roten
Kleckser, die der Maler abschließend aus einem Becher verteilt, wie
Wunden in einer fragilen Struktur.
Die ovalen Großformate, die Qureshi für seine Ausstellung in der Deutsche Bank KunstHalle
vorbereitet, zitieren die Bildformen der Miniaturmalerei. Diese
kopierte er während seiner Ausbildung – in wochenlanger Arbeit im
Schneidersitz, die Farbe aus Muschelschalen mit feinsten Pinseln aus
Eichhörnchenhaar Punkt für Punkt auf das aus mehreren Schichten
geleimte, selbst hergestellte Wasli-Papier tupfend. Schon diese auf
Anhieb ins Auge stechende Wertarbeit macht die Miniaturmalerei für den
globalisierten Kunstbetrieb heute interessant, dazu kommt noch eine
gewisse Exotik. Denn vierzig Jahre nach Erscheinen von Edward Saids
Orientalismuskritik ist die westliche Wahrnehmung noch immer von
künstlichen Grenzziehungen geprägt. Daran ist auch der Kunstmarkt nicht
unschuldig, der Künstler schnell auf ihre Herkunft reduziert. Qureshis
Kunst aber fordert solche Kategorisierungen heraus.
Einmal, als
Qureshi über seine Pläne für die Ausstellung spricht, rutscht ihm statt
„Installation“ das Wort „Incident“ heraus, Störfall. Wie gut dieser
Begriff passt, das erschließt sich im Laufe einer gemeinsamen Woche in
Lahore, gegen das der Vielvölkerbezirk Kreuzberg wie ein friedliches
Winterdorf wirkt.
Das Wasser spritzt an den Seiten der
Motorradrikscha hoch. Wir rasen zwischen bunt bemalten Lastwagen,
Handkarren und Familien auf Mopeds hindurch. Das Hupen und Knattern der
Zweitakter bilden die akustische Textur der Stadt, durchsetzt vom
Klappern der Esel- und Pferdehufen. Wie ein endloser Flüchtlingstreck
schiebt sich der Verkehr um die „Walled City“, die historische Stadt,
in der Qureshi uns die vom Aga-Khan-Trust unterstützten Restaurierungsarbeiten zeigt. Dem Aufseher der Wazir-Khan-Moschee
mit ihren jahrhundertealten Blütenfresken steckt er ein großzügiges
Eintrittsgeld zu, damit wir das Minarett besteigen können. Oben mischen
sich die Geräusche aus hundert rastlosen Gassen. Vogelschwärme ziehen
ihre Kreise über den Schlachtereien, dem Goldschmiedebasar und den zum
Bleichen aufgehängten Stoffbahnen. Hier steht man in vielen
Jahrhunderten zugleich.
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Im Mogulreich
wurde Lahore zur Hochburg der Miniaturmalerei. Die kleinen Blätter,
meist zu Büchern gebunden, hielten Einrichtung, Kleidung und Sitten am
Hof so detailgetreu wie mit der Kamera fest. Manchmal sind sogar
Brotkrümel auf den Lippen zu erkennen. Miniaturen waren nicht nur der
Ausdruck individueller Meisterschaft, sondern Dokumente, so reich an
Informationen, dass sie auch der Spionage dienten. Erst die Fotografie
läutete während der britischen Herrschaft den Niedergang der
jahrhundertealten Kunstform ein.
Seit zwanzig Jahren
allerdings erlebt die Miniaturmalerei in Lahore eine Renaissance. Das
ist auch das Verdienst von Imran Qureshi, den die Deutsche Bank
zum Künstler des Jahres 2013 wählte. Gemeinsam mit Zeitgenossen wie Shahzia Sikander, Rashid Rana oder der etwas jüngeren Hamra Abbas
erschloss der 1972 geborene Qureshi die uralte Tradition als Folie und
Werkzeug für skulpturale und konzeptuelle Gesten. So verschafften sie
der pakistanischen Gegenwartskunst internationale Aufmerksamkeit. Alle
diese Künstler studierten in Lahore am National College of Arts (NCA), dessen erster Direktor 1871 John Lockwood Kipling war, der Vater des Dschungelbuch-Autors Rudyard Kipling. Dort soll morgen die Auszeichnung von Qureshi als Künstler des Jahres
gefeiert werden – inmitten dieser Millionenstadt nahe der indischen
Grenze, die reich an Architektur- und Kunstschätzen ist, in die sich
aber kaum ein Tourist verirrt.
Während andere ihren Erfolg im Ausland leben, blieben Qureshi und seine Frau, die Malerin Aisha Khalid,
in Lahore. Seine Studenten am NCA kennen internationale Gegenwartskunst
meist nur aus Zeitschriften, Büchern und dem Internet. Qureshi
ermuntert sie, sich sowohl die Werkzeuge der Tradition wie auch den
aktuellen Kunstbetrieb zu erschließen. Seine Arbeit als Lehrer wie als
Künstler schöpft aus einer tiefen Verbindung zum eigenen Land wie aus
persönlicher Betroffenheit.
Denn seit den Feldzügen gegen die
Taliban und der Schließung der afghanischen Grenze befindet sich
Pakistan in einer Abwärtsspirale. „Für die Wohlhabenderen war Lahore
früher der beste Ort der Welt: Du konntest östliche Werte genießen und
westliche Freiheit“, erzählt Qudsia Rahim, Leiterin der Galerie der
Kunsthochschule. Doch besonders seit der Ermordung der
Oppositionsführerin Benazir Bhutto
im Jahr 2007 driftet die Gesellschaft immer weiter auseinander. Die
Hälfte der Bevölkerung kann nicht lesen, die Politik liegt in den
Händen von Großgrundbesitzer-Familien, Religiöse radikalisieren sich,
Arme werden ärmer, Reiche ziehen in bewachte Viertel.
Noch
immer gilt Lahore, die Stadt der Kreativen, der Künstler, Designer und
Filmemacher, als einer der sichersten Orte Pakistans. Innerhalb dieser
Insel bildet das NCA wiederum einen außergewöhnlichen Raum des
Austauschs. Eine Quotenregelung stellt sicher, dass die Studierenden
aus allen Teilen des Landes kommen. Staatliche Bezuschussung sorgt
dafür, dass sich hier nicht nur, wie an anderen Unis, die Kinder der
Wohlhabenden treffen.
Doch auch das NCA musste schon wegen
Bombendrohungen vorübergehend schließen und seine Logos vom
Hochschulbus entfernen. Die ganze Gesellschaft ist von einem tiefen
Gefühl der Machtlosigkeit durchdrungen. Täter werden nicht angeklagt,
Opfer nicht identifiziert. Es scheint, als fehle es, wenn es um
kollektive Verwundungen und Verständigung geht, am Grundlegendsten: an
einer gemeinsamen Sprache. Qureshi wird eher schweigsam, wenn es um
Politik geht. Seine Kunst aber ringt um eben diese Sprache. Dafür
musste er sich zuerst seine eigene Freiheit erobern. Sein Lehrer Bashir Ahmed
hatte den vielversprechenden Maler aus Hyderabad nach der Grundlehre
1991 noch überreden müssen, in die Miniaturklasse zu wechseln. Hier gab
sich Qureshi bald nicht mehr damit zufrieden, Motive aus der
persischen, der Rajputoder der Pahari-Schule zu kopieren. Er
experimentierte mit dem Kontrast von Lapislazuli und Blattgold. Er
malte Kleider und ließ die Menschen weg. Er trieb die abstrakten
floralen Ornamente vom Bildrand in die Bildfläche. Er fügte in das aus
mehreren Schichten geleimte Wasli-Papier
Blätter gebrauchter Schulbücher ein, Gebrauchsanweisungen und
Zeitungsschnipsel, zeichnete darauf Scheren oder Raketen – Zeugnisse
gesellschaftlicher Realität.
Ab 2001 trieb er schließlich das
Ornament in den realen, dreidimensionalen Raum, in Höfe, Moscheen,
Museen. Das führte zu atemberaubenden Installationen wie Blessings
Upon the Land of My Love auf der Sharjah-Biennale 2011:
Über das Pflaster eines Innenhofs kippte und spritzte Qureshi rote
Farbe, wie Spuren eines Massakers. Darin zog er mit weißer Farbe zarte
Muster – Blütenblätter, aus denen die Feinheit, Verletzlichkeit und
Gleichgültigkeit der Natur sprachen.
Anlass für die Arbeit waren
Terroranschläge auf zwei Moscheen in Lahore im Mai 2010. „Soldaten
standen in der Nähe, ohne einzugreifen“, berichtet Qureshi. Der
Erfahrung seiner Hilflosigkeit, dem Aufblitzen des Schocks, verlieh er
eine ebenso beständige wie abstrakte Form – das Nachbild eines Traumas,
das in seiner physischen Präsenz und obsessiven Schönheit die
Betrachter körperlich traf. Qureshi hatte einen Raum geschaffen, in dem
unterschiedliche Schockerfahrungen widerhallten und zur geteilten
Erfahrung werden konnten.
Qureshis florale Ornamente überziehen
Leinwände und durchdringen Räume wie Schlingpflanzen. Sie spiegeln die
Durchlässigkeit wider, die Grenzen, Räume und Körper unter neuen
Kommunikations- und Militärtechnologien erfahren. So wie im
Drohnenkrieg, der die Bürger Westpakistans in dauernder
Alarmbereitschaft hält. Seine Arbeiten lassen die Verletzlichkeit des
Körpers spüren, ebenso die der sozialen Membran. Sie zeigen Identität
und Sicherheit als etwas Flüchtiges, Geborgtes, das ständig auf dem
Spiel steht – zusammen mit dem Gemeinwesen, aus dem es stammt.
Der Jurypreis
der Sharjah-Biennale bedeutete für Qureshi den internationalen
Durchbruch. Im April 2013 wird er die Deutsche Bank KunstHalle in
Berlin eröffnen. Im Mai wird er das Dach des Metropolitan Museum of Art in New York bespielen. Im Juni werden seine Arbeiten im zentralen Pavillon der Biennale in Venedig
zu sehen sein. Doch erst muss die Installation fertig werden, die er
für seine Ausstellung anlässlich der Preisverleihung der Deutschen Bank
in Lahore am NCA konzipiert hat. Elemente der Sharjah-Arbeit sind hier
auf 18 000 Papierbogen vervielfältigt, zusammengeknüllt und zu einem
Berg aufgehäuft, der die Ausstellungshalle ausfüllt. Wer die
Installation begeht, stapft durch Spuren von Fleisch und Blut …
Der Titel And They Still Seek the Traces of Blood ist einem Gedicht des pakistanischen Dichters Faiz Ahmed Faiz
entlehnt, dessen Texte Qureshi als Kind im Radio hörte. „Es handelt von
den Menschen, die verscharrt werden, ohne sie zu würdigen oder ihre
Todesumstände zu untersuchen.“ Qureshi spricht nicht von politischen
Opfern. Bei dem vorsichtigen Versuch, Parallelen zwischen den
1970er-Jahren und heute zu ziehen oder zwischen seiner Kunst und den
systemkritischen Gedichten von Faiz, weicht er aus.
Es ist weit
nach Mitternacht und wir sitzen im Auditorium des NCA. Drüben in der
Ausstellungshalle knüllen Freunde und ehemalige Studenten noch
stundenlang die Papierbogen, während Qureshi den Bühnenaufbau für die
morgige Performance prüft. „Da wirst Du mich von einer ganz anderen
Seite kennenlernen“, verspricht er.
Aus allen Teilen des Landes reisen alte Weggefährten zur Feier an. Aus Islamabad kommt der Architekt Muhammad Attique,
ein Jugendfreund, mit dem Qureshi während der Studienjahre am NCA
Marionetten- und Straßentheater spielte. Die beiden haben ein neues
Stück geschrieben, das von Studenten und Kollegen aufgeführt wird und
Kollegen an der Hochschule aufs Korn nimmt. Die werfen sich weg vor
Lachen. Als die Stimmung auf dem Höhepunkt ist, fegt zu einer der
vielen Musikeinlagen plötzlich der Preisträger selbst über die
Tanzfläche. Im brandenden Applaus wird spürbar, welche Bedeutung der
Preis für dieses Kunstumfeld hat. Qureshi hat vielleicht nicht die
pakistanische Gegenwartskunst erneuert. Aber auf jeden Fall die Lehre
und den Umgang von Künstlern untereinander in einem Umfeld, das
zunehmend von Konkurrenz erfasst wird. „Imran hat eine Kultur des
Teilens geschaffen, die es vorher so nicht gab“, sagt eine Galeristin.
Oft fordern Qureshis Arbeiten die körperliche Mitwirkung der Betrachter
ein – ob im Vervollständigen eines Malen-nach-Punkten-Bildes oder im
Begehen einer Installation. Zugleich erinnern seine Werke den
Betrachter an dessen eigene Verwundungen – und an den eigenen Platz in
der Welt.
Am Morgen nach dem Fest fahren wir nach Norden, aus
der Stadt heraus. Die Sonne bescheint die elefantenhaften Kuppelbauten
in den weitläufigen Parkanlagen um das Grabmonument des trunksüchtigen
Herrschers Jahangir.
Außer Vogelgezwitscher ist im Park nichts zu hören und auch wir
wechseln nur wenige Worte. „Wenn die Ausstellungen vorbei sind und ich
wieder unterrichte“, sagt Qureshi, „sollte ich mit der Miniaturklasse
zum Zeichnen hierher kommen.“
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