Imran Qureshi, Self-portrait, 2009. Ali and Amna Naqvi Collection, Hongkong. © Imran Qureshi, Courtesy Corvi-Mora, London
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Imran Qureshi - "Artist of the Year" 2013, Deutsche Bank KunstHalle, Berlin. Installation view. Photo: Photo Mathias Schormann. © Deutsche Bank KunstHalle
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Imran Qureshi, Bleed, 2013. Photo: Daisy Loewl. © Imran Qureshi, Courtesy Corvi-Mora, London
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Imran Qureshi - "Artist of the Year" 2013, Deutsche Bank KunstHalle, Berlin. Installation view. Photo: Photo Mathias Schormann. © Deutsche Bank KunstHalle
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Imran Qureshi, Give & Take, 2013. Photo: Daisy Loewl. © Imran Qureshi, Courtesy Corvi-Mora, London
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Imran Qureshi - "Artist of the Year" 2013, Deutsche Bank KunstHalle, Berlin. Installation view. Photo: Photo Mathias Schormann. © Deutsche Bank KunstHalle
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Imran Qureshi - "Artist of the Year" 2013, Deutsche Bank KunstHalle, Berlin. Installation view. Photo: Photo Mathias Schormann. © Deutsche Bank KunstHalle
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Imran Qureshi, Opening Word of This New Scripture, 2013. © Imran Qureshi, Courtesy Corvi-Mora, London
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Imran Qureshi - "Artist of the Year" 2013, Deutsche Bank KunstHalle, Berlin. Installation view. Photo: Photo Mathias Schormann. © Deutsche Bank KunstHalle
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Imran Qureshi, Opening Word of This New Scripture, 2013. © Imran Qureshi, Courtesy Corvi-Mora, London
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Es scheint, als hätten die überdimensionalen goldenen Ovale, die im zentralen Raum der Deutsche Bank KunstHalle
hängen, die Blutfarbe aufgesogen. Im Inneren der Eiformen sprießen
Blüten aus verschüttetem Rot. Wie durch feine Äderchen pulsiert das Rot
über die Leinwände, tröpfelt, spritzt, fließt. Imran Qureshis
Gemälde sind kalt und warm zugleich. Mit Blattgold überzogen strahlen
sie eine fast sakrale Strenge aus. Sie hängen im Raum wie Ikonen. Doch
in ihrem Inneren ist alles voller Bewegung, organisch, schmutzig,
menschlich. Qureshis Arbeiten vermitteln beides – eine geradezu virale,
anarchische Energie und extreme Kontrolle. Diese Spannung ist
bestimmend für sein gesamtes aktuelles Werk. Sie bezeichnet einen ganz
grundsätzlichen, realen Konflikt. Ordnung kann Klarheit und Ruhe
schaffen, aber sie kann auch einengen und unterdrücken. Veränderung,
Unruhe, Zerstörung sind das, was wir fürchten: Sie können in Gewalt,
und Blutvergießen münden. Zugleich bilden sie die Grundlage für jeden
schöpferischen Prozess, für die Entstehung von etwas Neuem.
Imran
Qureshi, der "Künstler des Jahres" 2013 der Deutschen Bank, stammt aus
einem Land, das Umbruch und Unruhe geradezu verkörpert: Pakistan ist
zerrissen von politischen und religiösen Konflikten, von alltäglicher
Gewalt und Korruption. Aber es ist auch ein Land im Aufbruch, das aus
einer reichen kulturellen Tradition schöpft, in dem viele Menschen an
einen Prozess des Umdenkens und eine neue, tolerantere Gesellschaft
glauben. Zu denen gehört auch Qureshi, er ist ein Hoffnungsträger. In
traditioneller Miniaturmalerei geschult, hat er aus dieser alten
Kunstform völlig neue Ausdrucksmöglichkeiten entwickelt. In seinen
Werken, die das Format eines Schulheftes haben oder ganze
Gebäudekomplexe mit einbeziehen können, hat er immer wieder die
gesellschaftliche Situation in Pakistan angesprochen. Aber es wäre
falsch, ihn als politischen Kommentator oder Chronisten zu sehen.
Quershis haarfeine, mit Gold und Blüten verzierten Miniaturbildern, die
auch in der KunstHalle zu sehen sind, haftet etwas zutiefst
Spirituelles, Existenzielles an. Sie entspringen einer ganz bestimmten
Kultur und der Biografie des Künstlers, doch sie sind nicht an sie
gebunden. Diese Arbeiten richten sich an jeden Betrachter. Sie zeigen
Menschen, Blüten, Farben, Regen, Blätter, abstrakte Formen als Teil
eines Kosmos, in dem alles miteinander verbunden, beseelt, lebendig,
natürlich scheint.
Am Anfang der Ausstellung steht ein
kleines, geradezu unschuldiges Bild. Eingeschlossen in ein ovales
Medaillon, das auf Goldgrund schwebt, sehen wir den Künstler selbst: Er
hält eine Blüte in der Hand, die von einem Heer winziger Libellen
umschwärmt wird, die wie Pollen durch die Luft wirbeln. In diesem
zarten Bild sind alle formalen Momente beinhaltet, die Qureshi im
weiteren Verlauf der Ausstellung durchspielt: das Gold, die Eiform, die
Blüten, und das Chaos, das hier noch Schönheit und Heiterkeit gebiert.
Zugleich ist die Vergänglichkeit anwesend. Und schon im nächsten Raum
bricht der Tod ein, plötzlich und gnadenlos.
Zum ersten Mal in
seiner Laufbahn schuf Qureshi aus Anlass dieser Ausstellung eine Serie
großformatiger Gemälde. Sie entstanden vor Ort in Berlin. Motivisch und
konzeptionell knüpfen sie an eines seiner bedeutendsten Werke der
letzten Jahre an: Blessing Upon the Land of My Love ist der Titel der preisgekrönten Installation, die er für die 10. Sharjah Biennale
in den Vereinten Arabischen Emiraten realisierte. Von oben betrachtet
sah der weiß gepflasterte Innenhof des ehemaligen Krankenhauses Bait Al
Serkal aus wie nach einem Selbstmordattentat: Eine unvorstellbare
Explosion aus dunklem Rot, das über die Hauswände spritzt, aus
Lüftungsschächten tropft, sich in dichten Lachen sammelt, im Abfluss in
der Mitte des Hofes verrinnt. Doch bei genauerem Hinsehen
materialisierten sich auf dem Pflasterboden tausende filigrane Blüten,
die in unterschiedlich verlaufenden Ornamenten Wege und Inseln formten,
am Gebäude emporrankten. Die Installation entstand unter dem Eindruck
eines Bombenanschlags auf einem belebten Platz in der Nachbarschaft des
Künstlers in seiner Heimatstadt Lahore.
In der
Eröffnungsausstellung der Deutsche Bank KunstHalle verlagert er den
Konflikt zwischen Schönheit und Schrecken in den musealen Innenraum.
Auf den großen Ovalen findet sich erneut dieses ganz besondere Rot, das
größtmögliche Nähe zur Farbe menschlichen Blutes aufweist. Auch hier
wuchern Blüten aus dem abstrakten Gewirr von Spritzern, Schlieren und
malerischen Gesten. Die Gemälde erscheinen dabei wie Materialproben.
Tatsächlich haben die ornamentalen Blütenranken etwa dieselben
Proportionen wie bei seinen Installationen im öffentlichen Raum – ganz
so als habe er ein Stück der Wirklichkeit ausgeschnitten und in den
geschützten Raum des Museums implantiert. Verstärkt wird dieser
Eindruck auch in den Bildern selbst, in denen die roten Farbexplosionen
durch monochrome Flächen von Gold scharfkantig angeschnitten werden.
Doch diese formale Strenge paart sich mit Verletzlichkeit: Die ovalen
Tafeln erinnern an riesige Eier, an Keimzellen neuen Lebens oder
Schutzhüllen, in denen fragile Erinnerungen, Gedanken oder Gefühle
gehegt und ausgebrütet werden.
Im folgenden Raum hingegen
erwartet den Besucher ein gigantischer Berg weggeworfener
blutverschmierter Verbände. Erst bei genauerem Hinsehen wird man
gewahr, dass es sich um zerknülltes Papier handelt: Tatsächlich zeigt
Quershi auf jedem Blatt immer wieder dasselbe Motiv: Eine Luftaufnahme
seiner Installation für die Sharjah Biennale. Zwar sind Menschen zu
erkennen, die über die Blüten in den weißen Innenhof laufen. Doch in
der Verkleinerung bleiben nur noch rote Flecken übrig, die an Gewalt
und Verletzungen erinnern. Qureshis raumspezifische Installation And They Still Seek The Traces of Blood zitiert ein Gedicht des pakistanischen Dichters Faiz Ahmed Faiz,
dessen Texte der 1972 geborene Künstler als Kind im Radio hörte. Es
handelt von den Menschen, die verscharrt werden, ohne sie zu würdigen
oder ihre Todesumstände zu untersuchen. Im Licht der Halle wirkt diese
Arbeit hart, fast brutal.
Doch der Weg führt noch weiter ins
Dunkle: Den letzten Teil der Schau bildet eine labyrinthische, mit
Treppen verbundene Architektur, durch die man hindurch läuft wie durch
die niedrigen Kammern einer alten Festung. Nur an einigen Wänden werden
in den graugrün gestrichenen Kabinetten Qureshis Miniaturmalereien
präsentiert – angestrahlt wie kostbare Devotionalien oder Artefakte in
einem Völkerkundemuseum. Die Farbe der Räume entlehnte Qureshi den
nächtlichen Landschaften der venezianischen Malerei. Viele Bilder
zeigen Landschaften und Innenhöfe, in denen jedes Blatt, jeder
Mauerstein minutiös ausgestaltet ist. Doch diese zarten Bilder sind mit
Drippings roter Farbe "befleckt", die in die Idyllen einbricht und ihre
Feinheit und Symmetrien gnadenlos zerstört. Qureshi schafft
buchstäblich ein Kabinett der Schönheit und Gewalt. Und durch dieses
düstere Kabinett muss man sich beinahe hindurch tasten, behutsam einen
Schritt vor den anderen setzten. Der Künstler spielt mit dieser
Inszenierung auch auf die kolonialen Architekturen und Paläste an, in
denen die Bediensteten in zellenartigen Räumen untergebracht waren. In
der Dunkelheit lässt er Bilder aufscheinen, die dazu auffordern, die
Verhältnisse zu reflektieren und einen Weg aus der bestehenden
Situation zu finden – zumindest für einen Moment innezuhalten und aus
dem ewigen Kreislauf von Gewalt und Schöpfung herauszutreten.
Imran Qureshi – "Künstler des Jahres" 2013 Deutsche Bank KunstHalle, Berlin 18.4.-4.8.2013
Nach
dem Auftakt in Berlin gastiert die Ausstellung im Museo d’arte
contemporanea (MACRO) in Rom. Ab dem 14. Mai ist Qureshis Projekt für
den Dachgarten des New Yorker Metropolitan Museum of Art zu sehen. Vom
1.6.-24.11. ist er zudem auf der 55. Biennale di Venezia im
italienischen Pavillon vertreten.
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