Elisabeth Giers, Villa Romana, Garten, 2008, © Elisabeth Giers and Archiv Villa Romana
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Michael Danner, Villa Romana. Eingang, 2005
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UNMAP: Thomas Fietz, Alex Stolze, Mariechen Danz, Matthias Geserick
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Mariechen Danz, Cube Cell Stage, 2012. Installation Kunstverein Göttingen
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Shannon Bool, Horizontal Pouts, 2013, 24 parts
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Heide Hinrichs, my shiver your suspense (purple breathing), 2013. Videostill
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Lucy Honeychurch (Helena Bonham-Carter) in „A Room with a View“, 1985
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Wichtel und die Wuchteln, „Falscher Auerhahn“, Villa Romana, 2011
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Gioacchino Turù & Vanessa V.
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The workcenter of Jerzy Grotowski and Thomas Richards
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Cristian Chironi, Cutter (Farfalle d’Italia), 2011. Artist’s book (detail)
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Armin Linke, from the project „Lampedusa. The Day After“, 2011
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Mario Rizzi, Al Intithar, 2013. Videostill
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Einer der Filme, die im Rahmen von Süden zu sehen sind, ist der britische Klassiker Zimmer mit Aussicht
(1985). Hauptdarsteller sind neben Stars wie Maggie Smith oder Helena
Bonham Carter auch die Toskana und Florenz – jene Stadt am Arno, in der
auch das 1905 von Max Klinger begründete Künstlerhaus Villa Romana
beheimatet ist. Florenz, die Wiege der Renaissance, ist nicht nur im
Film der Inbegriff des romantischen Südens. Auch das Künstlerhaus
entsprach lange Zeit dem Ideal, das Generationen von Baedeker-Lesern
verinnerlicht haben: Auf den Hängen über der Stadt gelegen, wurde die
klassizistische, von einem wunderschönen Garten mit Olivenbäumen und
Zypressen umgebene Villa immer wieder als ein „Arkadien“ beschrieben.
Nicht nur Max Beckmann, Käthe Kollwitz, Ernst Barlach oder Max Pechstein suchten hier Ruhe und Inspiration. In den 1970ern und 1980ern residierten hier Künstler wie Georg Baselitz und Markus Lüpertz, Michael Buthe
inszenierte in ihren Räumen orientalische Mythen. „Es gab rauschende
Feste und sein Atelier sah aus wie ein Harem nach hundert
Liebesnächten“, erinnerte sich der damalige Direktor, der „Commandante“
Joachim Burmeister kurz vor seinem Ruhestand 2005.
Seit 2007 leitet Angelika Stepken
das Haus. Gefeiert wird hier immer noch. Doch der Blick auf den Süden
ist diskursiver geworden. Er trifft auf die kulturellen und sozialen
Realitäten des Mittelmeerraumes und einen völlig veränderten,
globalisierten Kunstbetrieb. Der Süden endet nicht mehr an der
italienischen Küste oder Gibraltar, sondern schließt Nordafrika, den
Balkan, Griechenland, die Türkei und den Nahen Osten mit ein. Die
jungen Stipendiaten, die aus Deutschland hierherkommen, stammen aus
ganz Europa. Wie wichtig der arabische Raum geworden ist, beweisen
Gastkünstler aus Algier, Casablanca, Alexandria. Abseits der großen
Kunstmetropolen hat sich die seit 1929 von der Deutschen Bank und ihrer Stiftung
geförderte Villa Romana zu einer Werkstatt für künstlerischen Austausch
zwischen Nord und Süd entwickelt. Gleichzeitig ist das Haus auch ein
Impulsgeber für die Region – Plattform für wegweisende Positionen der
italienischen Gegenwartskunst.
All das zeigt jetzt das Ausstellungs-, Musik- und Performance-Programm Süden, das die lebendige Atmosphäre der Villa direkt in die Deutsche Bank KunstHalle nach Berlin bringt. Über zwei Wochen hinweg zeichnen Stipendiaten und Gäste ein vielfältiges Bild des
Hauses und der Themen, die Künstler in Europa beschäftigen. Dass diese
durchaus von der politischen Lage im Mittelmeerraum bestimmt ist, zeigt
vor allem eine Arbeit, die jetzt in Berlin vorgestellt wird: Seit
mehreren Jahren arbeitet der Künstler und Fotograf Armin Linke an dem Projekt Lampedusa. The Day After.
Die kleine italienische Insel Lampedusa zwischen Sizilien und Tunesien
ist häufig die erste Anlaufstelle für Bootsflüchtlinge aus Afrika und
zum Synonym für die europäische und italienische Flüchtlingspolitik
geworden. Linke sammelt und untersucht die visuellen Spuren, die diese
Tragödie hinterlässt: Medienbilder, Familienfotos, Facebook-Einträge.
Nicht neue Bilder sollen geschaffen, sondern die bestehenden in einen
Kontext gestellt werden, eine Geschichte bekommen. Über Jahre hinweg
recherchierte Linke mit einer Arbeitsgruppe und führte Interviews. Das
gesammelte Material hinterfragt die Prozesse, in denen die Fotografie
als „aufklärerisches“ Medium angesichts der humanitären Katastrophe
ihre Glaubwürdigkeit verliert.
Jetzt kann man Linke im Rahmen einer Lecture bei Süden
persönlich kennenlernen, ebenso wie die unterschiedlichsten
Künstlergenerationen, die das Programm des Hauses mitgeprägt haben. Das
Spektrum reicht von Gianfranco Baruchello, Duchamp-Freund und Künstlerlegende der 1960er Jahre, bis zur aktuellen Villa Romana-Stipendiatin Mariechen Danz.
Mit ihren Körper-Skulpturen, Installationen, Videos und
Performances erobert die in Berlin lebende Irin gerade die
internationale Kunstszene. In der Ausstellung, in der die Deutsche Bank
KunstHalle die Arbeiten der aktuellen Villa Romana-Preisträger
präsentiert, ist ihr Learning Cube
zu sehen. Die Außenflächen des riesigen Würfels sind mit Abbildungen
von menschlichen Organen, Händen, Pyramiden, Diagrammen, Schriftzeichen
und grafischen Symbolen überzogen. Der menschliche Körper erscheint
dabei als Objekt, dem Strukturen und Systeme aufgezwungen werden. Danz
ist aber auch als Performerin zu erleben – beim Konzert ihrer Band
UNMAP, die kühle, düstere New Wave Sounds mit Electro-Soul und
melancholischem Gesang verbindet.
Neben Mariechen Danz sind auch die anderen Stipendiaten im Rahmen von Süden zu sehen: Heide Hinrichs, Daniel Maier-Reimer und Shannon Bool.
Die in Berlin lebende Kanadierin Bool lässt prominente „Schmollmünder“
über Landschaften schweben. Auf den Bildern ihrer 24-teiligen Serie The Lips
montiert sie in Fotos menschenleerer Strände, die sie bei eBay
ersteigert hat, Lippen von Stars wie Rihanna, Angelina Jolie oder Dita
van Teese.
Süden bietet nicht nur die Möglichkeit aktuelle Positionen zu
entdecken, sondern stellt auch Künstlerlegenden vor: So kann man in der
Deutsche Bank KunstHalle mit Gianfranco Baruchello auch einen großen Unbekannten der
europäischen Avantgarde (wieder)entdecken.1962 nimmt er in der
New Yorker Galerie Sidney Janis
an der wichtigen Ausstellung New Realists teil, an der auch Warhol
beteiligt ist. Im selben Jahr lernt er Marcel Duchamp kennen, mit dem
ihn eine lange Freundschaft verbindet und über den er ein Buch
geschrieben hat. 1977 sind seine Zeichnungen auf der documenta 6 zu
sehen. Dennoch bleibt Baruchellos Werk auf Grund
seinerVerweigerungsstrategie gegenüber dem Markt und dem Kunstbetrieb
weithin unbekannt. In der KunstHalle ist erstmals ein Überblick seiner
filmischen Arbeiten von den 1960er Jahren bis heute zu sehen.
Ein Schwerpunkt des Süden-Programms liegt auf performativen
Arbeiten: Ein Klassiker der avantgardistischen Theaterbewegung ist der
polnische Regisseur und Theoretiker Jerzy Grotowski
(1933 – 1999), der seine letzten Lebensjahre in dem zwischen Florenz
und Pisa gelegenen Städtchen Pontedera verbrachte. Hier gründete er das
Workcenter of Jerzy
Grotowksi and Thomas Richards, wo er sein Konzept des „armen Theaters“
weiterentwickelte. Das Workcenter zieht heute Schauspieler aus der
ganzen Welt an. Für Süden reist das Open Program erstmals nach Deutschland und realisiert in der KunstHalle mit Electric Party Songs eine Hommage an den Beat-Poeten Allen Ginsberg. Auch andere Nachbarn der Villa Romana feiern bei Süden Deutschlandpremiere – und beschäftigen sich ebenfalls mit einem Heroen der Beat-Literatur: die freie Performance-Gruppe Kinkaleri aus Prato ehrt mit Fourthousand | All! William S. Burroughs.
Eine Mischung aus Talk, Workshop und Performance präsentieren hingegen Mirene Arsanios und Setareh Shahbazi. Die Kuratorin Arsanios ist Mitbegründerin des Beiruter Projektraums 98weeks researchproject.
In der Villa Romana realisierte sie mit der Künstlerin Shahbazi eine
Performance, die auf Gesprächen basierte, die die beiden Frauen auf
ihren benachbarten Balkonen in Beirut begonnen hatten: über Revolution,
Familie oder auch chinesische Teigtaschen. Jetzt wird dieser Dialog in
Berlin weitergeführt. Ob und wie die Aufbruchsstimmung des „Arabischen
Frühlings“ und der Bürgerkrieg in Syrien ihr Leben und ihre
künstlerische Arbeit prägt wird sicherlich eines der Themen sein, um
die es in ihrem Beitrag zu Süden geht.
Den fulminanten Abschluss der Reihe bildet die Text-Sound-Film- und Kochperformance Heiße Füße der Gruppe Wichtel und die Wuchteln.
Die heißen Füße, das sind gekochte, ausgelöste und verfeinerte
Kalbsfüße. Zubereitet werden sie von der österreichischen Künstlerin Ingrid Wiener, begleitet von ihrem Mann Oswald und ihren Freunden: der Künstlerin und Regisseurin Rosa Barba, dem Produzenten Klaus Sander und dem Musiker Jan St. Werner, einem Gründungsmitglied der Band Mouse on Mars. Oswald Wiener ist einer der Theoretiker der Wiener Gruppe (1954–1964), die zu den radikalsten Künstlervereinigungen im Nachkriegseuropa zählt. Ingrid Wiener wirkte bei Aufführungen der Wiener Gruppe und in Experimentalfilmen mit, begründete legendäre Restaurants wie das Exil und Ax Bax in Berlin und arbeitete lange Jahre mit Dieter Roth. Die Heißen Füße
sind dabei alles andere als eine Koch-Show: Sie werden serviert mit
einem performativen Zuspiel von Oswald Wieners Texten, Rosa Barbas Film
und akustischen Interventionen, Jan St. Werners elektronischem Sound
und Klaus Sanders Percussion.
Auf gewisse Weise geben Wichtel und Wuchteln mit ihrer
Verbindung zwischen den unterschiedlichsten Kunstrichtungen,
Generationen und Disziplinen ein gutes Bild ab für den Geist der Villa
Romana, der alles andere als heterogen ist. Und auch das zeigt das
Programm: Auch wenn im Künstlerhaus in Florenz um- und neugedacht wird
– gefeiert wird hier noch immer.
Süden
Villa Romana: Art, Music & Performance
27.8. – 8.9.2013
Deutsche Bank KunstHalle, Berlin
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