Nicola Lees. Photo: Lewis Ronald
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Gerry Bibby, Pacing Wall Progressing Columns (2013) Video Still. Performance Video. Performed at Kunsthalle Bremen 14th & 15th Sep. 2012 by Adam Linder & Gerry Bibby. Courtesy the Artist and Silberkuppe
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Lili Reynaud-Dewar, Why Should Our Bodies End At the Skin 2012. Video still. Image courtesy The Artist; Mary Mary, Glasgow
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Angelo Plessas, Temple of Truth Tlatelolco. Courtesy of the artist
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Meredith Monk, 2012, Courtesy Frieze London
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Immer schon waren die Frieze
Projects mit ihrer Experimentierfreude ein Garant für das unverwechselbare Profil der Londoner Kunstmesse – ob nun Christian
Jankowski eine italienische Luxusjacht zum Kunstwerk deklarierte, Mike Nelson hinter den Ständen einen abgedunkelten Geheimgang installierte oder Aslı Çavuşoğlu mitten im Messetrubel eine Szene für einen
fiktiven, in der Kunstszene spielenden TV-Krimi probte. Nachdem Sarah
McCrory, seit 2010 Mastermind der Projects, kürzlich zur Direktorin des
Glasgow International Festival of Visual Art ernannt wurde, tritt jetzt
Nicola Lees ihre Nachfolge auf diesem begehrten
Kuratorenposten an.
Lees ist für diese Aufgabe bestens
qualifiziert, hat sie doch die letzten Jahre gemeinsam mit Hans Ulrich
Obrist an der Serpentine Gallery die sogenannten Marathons organisiert
– 48stündige Events mit Vorträgen und Gesprächen zu Themen wie
„Erinnerung“ oder „Garten“. Das Spektrum der Teilnehmer war überaus
breit gefächert und reichte von Künstlern wie Gilbert & George,
Dominique Gonzalez-Foerster und Yto Barrada über Filmemacher wie David
Lynch, Schriftsteller wie Douglas Coupland und John Berger bis zu
Naturwissenschaftlern oder Historikern. Lees große Leidenschaft sind
performative, zeitbasierte Arbeiten. So hat sie für die Park Nights der
Serpentine Gallery unter anderem Helen Martens Animationsfilm Dust and
Piranhas (2011) und Oscar Murillos Performance Cleaners’ Late Summer
Party with COMME des GARÇONS kuratiert.
ArtMag:
Eine modulare Bühnenarchitektur, Performances, die sich mit dem
Begriff von Arbeit und der Geschichte des Verzehrs von Austern in
London auseinandersetzen, eine Performance zum Thema
Spionage, ein Paintball-Spiel: Inwiefern beziehen sich die
Auftragsarbeiten für die diesjährige Frieze London auf die aktuelle politische und ökonomische Wirklichkeit?
Nicola
Lees: Die Projects werden eher
durch subversive Elemente geprägt als durch direkte Proteste oder Propaganda.
Die aktuellen Auftragsarbeiten setzten sich mit den Wechselbeziehungen
zwischen Spiel,
Governance und Herrschaft auseinander. Sie untersuchen, wie diese
Austauschprozesse durch partizipative Kunstpraktiken offen gelegt
werden können. Doch es gibt auch einige gemeinsame Interessen, die von einem
politischen Bewusstsein zeugen: Als wir ihre Projekte für die Frieze
diskutierten, bezogen sich sowohl Lili Reynaud-Dewar als auch
Gerry Bibby auf die Schriften des Autors und Aktivisten Jean
Genet.
Reynaud-Dewars Auftragsarbeit ist von Schriftstellern inspiriert, die
ihr eigenes Leben als Material für ihre Bücher nutzen – wie eben Genet,
aber auch Guillaume Dustan. Bibby interessiert sich besonders für
Genets Memoiren. Sie zeigen, dass der Konflikt zwischen den beiden
Identitäten Genets – der des Schriftstellers und auf der anderen Seite
der des Kriminellen – nie gelöst worden ist. Bibbys Arbeit erforscht
die Wechselbeziehungen zwischen diesen beiden existenziellen
Lebensweisen. Was gewissermaßen alle Frieze Projects miteinander
verbindet, ist das Fehlen eines klaren Endes, eines abschließenden
Moments der Objektivierung. Für mich sind die Projects eine Folge von
flüchtigen Augenblicken, die für eine Zeitlang zusammengebracht werden,
wobei das Ende offen gelassen wird.
Als Senior
Curator of Public Programmes an der Serpentine Gallery haben Sie
Künstler immer wieder ermutigt, interdisziplinäre Ansätze
auszuprobieren. Gilt das auch für die Frieze Projects? Und ist diese Art zu arbeiten in der aktuellen Kunstszene
mittlerweile nicht schon fast obligatorisch?
Natürlich bedienen sich Künstler heute einer
Vielzahl von Quellen, doch wirklich interdisziplinäre Ansätze sind
wesentlich seltener als man es vermuten würde. Diskursive und/oder
performative Kunstwerke sind von Natur aus flüchtiger,
gehen häufig verloren oder werden falsch archiviert. Übrig bleiben nur
Fragmente oder Relikte des Original-Events – im Gegensatz zu Kunst, die
auf Objekten basiert, deren Materialität und Präsenz über die Zeiten
hinweg zumeist erhalten bleibt. Trotzdem gibt es zwei ganz bestimmte Beispiele, die ich als wichtige Vorläufer für
mein Programm nennen würde. Kuratoren, die sich in ihrer Arbeit auch
mit pädagogischen Fragestellungen beschäftigen, haben große
Anstrengungen unternommen, interdisziplinäre Praktiken zu
dokumentieren, um sie dann zu unterschiedlichen Zeiten in neuen
Kontexten präsentieren zu können. Gleichzeitig sollten diese
Dokumentationen aber auch die Bedeutung und die Kraft der eigentlichen
Arbeit transportieren oder reflektieren. So hat der Kunsthistoriker
Lars Bang Larsen beispielsweise Palle Nielsens Model for a Qualitative
Society (1968) der aktuellen Kunstszene wieder zugänglich gemacht –
durch Artikel, Vorträge, Publikationen und vor kurzem auch in einer
Reihe von Ausstellungen etwa in Stockholm und Liverpool. Man sollte
nicht vergessen, welche Verantwortung Nielsen mit diesem Projekt
damals übernommen hat: Er verwandelte das Moderna Museet
in einen Spielplatz und vertraute es so ganz den Kindern an. Der
Künstler musste also persönlich auf Alles reagieren, was dort hätte
passieren können. Außerdem musste er die Gelder für seine Arbeit selbst
auftreiben. Darüber hinaus setzte er auch sein Stipendium von der
School of Architecture in Copenhagen für das Projekt ein. Ein weiteres
wichtiges Beispiel für ein interdisziplinäres Projekt, das der
Künstler selbst finanzieren musste, ist Allan Kaprows Other
Ways, das der Künstler 1968 gemeinsam mit Herbert Kohl, einem
Erziehungswissenschaftler an der University of California in Berkeley,
entwickelte. Nach einer Reihe von Absagen gelang es Kaprow und Kohl
rund 80.000 Dollar von der Carnegie Foundation aufzutreiben. Damit
finanzierten sie ein experimentelles Bildungsprogramm bei dem es darum
ging, Künstler und „Happenings“ an Colleges und höhere Schulen zu
bringen. Ich hoffe, dass das aktuelle Programm den gleichen Geist vermittelt wie diese beiden Arbeiten. Der betont pädagogische Aspekt
dieser Aktionen findet sich auch in den diesjährigen Frieze Projects wieder: Sowohl Angelo Plessas als auch Pilvi Takala, die
mit dem diesjährigen Emdash Award ausgezeichnet wurde, beziehen
Kinder als aktive Teilnehmer mit ein. Takala hat sich dafür
entschieden, dass Kinder ihr Preisträger- Projekt ausarbeiten und gestalten sollen. Die Gruppe, in der alle so um die 12
Jahre alt sind, entscheidet in einer Reihe von Workshops wie die Arbeit genau
aussehen soll. Für den Frieze Family Space hat Angelo Plessas die
ortsspezifische Arbeit The Temple of Play entwickelt. In einem speziell
dafür konzipierten Raum befindet sich ein frei zugänglicher, kreativer
Spielplatz, der Kindern aber auch Erwachsenen die Möglichkeit bietet,
sich zu betätigen. Und was ist Ihre persönliche interdisziplinäre Leidenschaft?
Der
Fokus der Frieze Projects 2013 liegt ja auf performativen und
interaktiven Arbeiten. Ich finde es besonders spannend, dass eine
Künstlerin, die zum Inbegriff für diesen Ansatz geworden ist, im Rahmen
des Programm auftritt – die amerikanische Komponistin, Sängerin,
Filmemacherin und Performerin Meredith Monk. Für Frieze Music
präsentiert sie einen Konzertabend, bei den Frieze Talks hält sie einen Vortrag und in Liverpool wird sie auf der dortigen Biennale
einen Workshop organisieren. Monks Performances sind ebenso archaisch
wie modern und beziehen nicht nur die Stimme auf eine völlig
innovative Weise mit ein, sondern auch Elemente des Theaters und
körperliche Bewegung. Zugleich vereinen ihre Kompositionen die
unterschiedlichen Kunstformen und Erfahrungen. Die Künstlerin selbst
beschreibt diese Verschmelzung der verschiedensten Elemente als einen
tiefen „seelischen Drang“. Monk ist eine Pionierin dessen, was man
heute als „erweiterte Vokaltechniken“ bezeichnet. Sie erschafft Werke
an der Schnittstelle zwischen Musik und Bewegung, Bild und Objekt,
Licht und Klang, um neue Möglichkeiten der Wahrnehmung zu
entdecken und miteinander zu verbinden. Ich freue mich wahnsinnig
darüber, dass Meredith Monk dieses Jahr bei Frieze Music zu sehen ist –
neun Jahre nach ihrer letzten Performance in London.
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