Let’s talk: Angelika Stepken, Ingrid & Oswald Wiener über „Heiße Füße“
Mit Jan St. Werner, Rosa Barba und Klaus Sander treten sie als
„Wichtel und die Wuchteln“ im Rahmen der Villa Romana Veranstaltung
SÜDEN im Atrium der KunstHalle mit einer Text-Sound-Koch-Performance
auf. Doch wie in jedem Sommer sind die Künstlerin Ingrid Wiener und der
Schriftsteller, Kybernetiker und Sprachtheoretiker Oswald Wiener in
ihrem Haus in der Goldgräberstadt Dawson City. Mit Angelika Stepken,
der Leiterin der Villa Romana, chatten sie über Essen, Kunst und ihr
Leben am Yukon.
Angelika Stepken, Director of the artists’ house Villa Romana, Florence
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Oswald Wiener in “Falscher Auerhahn“ (Mock Wood Grouse ). Performance of Wichtel und die Wuchteln at Villa Romana, 2011. Courtesy Wichtel und die Wuchteln. Photo: Archiv Villa Romana
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Ingrid Wiener in “Falscher Auerhahn“ (Mock Wood Grouse ). Performance of Wichtel und die Wuchteln at Villa Romana, 2011. Courtesy Wichtel und die Wuchteln. Photo: Archiv Villa Romana
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Oswald Wiener in “Falscher Auerhahn“ (Mock Wood Grouse ). Performance of Wichtel und die Wuchteln at Villa Romana, 2011. Courtesy Wichtel und die Wuchteln. Photo: Archiv Villa Romana
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Wichtel und die Wuchteln. From left to right: Rosa Barba, Jan Werner, Anja Theismann, Oswald and Ingrid Wiener, Klaus Sander. Courtesy: supposé Verlag
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Oswald Wiener plays his trumpet at the Strohkoffer, the favorite bar of the Wiener Gruppe in the early 1950ties. Courtesy Ingrid and Oskar Wiener
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Oswald Wiener performing. Courtesy Ingrid and Oskar Wiener
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Ingrid Wiener performing. Courtesy Ingrid and Oskar Wiener
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Ingrid Wiener, TRÄUME ICH TREFFE VALIE EXPORT IM SCHWIMMBAD ..., 2003. 2-parted drawing. Courtesy Wien Lukatsch, Berlin
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Ingrid Wiener, TRÄUME ICH TREFFE VALIE EXPORT IM SCHWIMMBAD ..., 2003. 2-parted drawing. Courtesy Wien Lukatsch, Berlin
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Ingrid Wiener, Shopping List For Whitehorse, 2012. Tapestry. Photo: Nick Ash. Courtesy: Wien Lukatsch, Berlin
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Ingrid Wiener, E, 2012. Tapestry. Photo: Nick Ash. Courtesy: Wien Lukatsch, Berlin
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[18:00:40] Angelika Stepken:
Guten Morgen Ingrid und Oswald! Ihr seid seit ein paar Wochen wieder in
Dawson, wo ihr seit 30 Jahren ein Haus habt. Ich habe nachgeschaut,
dass dort 0.06 Einwohner auf einen Quadratkilometer kommen. Was hört
ihr jetzt, wenn ihr am Rechner sitzt?
[18:01:17] Oswald Wiener:
Tinnitus. Ingrid sagt mir ein und zwar eben: Wir haben in Dawson City
(5 km von hier) 3.000 Einwohner. Das klingt nach viel, aber insgesamt
sind‘s nur 30.000 im Yukon! Es ist schwer, über die hiesige Situation
zu referieren, man bräuchte viel Zeit. Vieles ist ganz anders als in
Europa.
[18:03:06] AS: Gibt es in Dawson noch das Claims Café, das ihr mal initiiert habt?
[18:06:01] Ingrid Wiener: Claims Café gibt es leider nicht mehr. Viele erinnern sich daran.
[18:06:54] AS: Was war das Besondere am Claims Café?
[18:09:56] IW: Das Besondere war, dass es viele Dinge gab, die
ein Kanadier nicht kannte. In erster Linie gutes Essen, aber auch
Kleinigkeiten -- wir hatten die erste Espresso-Maschine nördlich von
Vancouver. Ein italienischer Goldgräber, Stammgast, aß Kutteln, trank
danach einen Espresso und weinte.
[18:11:08] AS: Ein melancholischer Ort?
[18:12:28] AS: ... wo die Schlittenhunde singen...
[18:12:35] IW: Ja. Zwei Wochen Frühling, zweieinhalb Monate
Sommer, zwei Wochen Herbst, der Rest Winter. Der Italiener aber weinte
aus Begeisterung.
[18:13:57] OW: Habt Ihr unsere CD mit den Schlittenhund-Gesängen? (Herausgegeben von Klaus Sander) - Im Winter kamen viele Gäste mit dem Hundeschlitten!
[18:14:58] OW: Wir haben in den Neunzigerjahren einen jungen
Nachbarn gehabt, der ein Schlittenhunde-Team erzogen hat. Seine Hunde
sangen jede Winternacht durch und so ergreifend, dass wir eine
automatische Aufnahme-Station (beheizt etc.) gebaut haben und eine
große Sammlung von Hundeliedern anlegen konnten. Der supposé-Verlag (Klaus Sander) hat mit uns daraus eine CD gemacht, die noch zu haben ist.
[18:16:07] AS: Jetzt bereitet ihr im kurzen Sommer die „Heißen Füße“ für Berlin vor. Als ihr in der Villa Romana
aufgetreten seid, wusste ich kaum, was mich erwartete. Und am Ende
blieb ein wahnsinnig starkes Nachbild von dieser dichten Situation in
einer kalten Nacht. Könnt Ihr schon etwas verraten?
[18:19:07] OW: Wir konnten uns mit Rosa (Barba),
Jan (St. Werner) und Klaus noch nicht beraten. Rosa und Jan reisen hin und her und
müssen ihre Arbeit auf das Intensivste vertreten, Klaus hat ein Baby;
auch wir sind über die Ohren eingedeckt mit Deadlines, aber wir können
wenigstens mit einander reden.
[18:22:05] IW: In den vergangenen Veranstaltungen hat sich
bewährt, dass wir paarweise so verschieden sind; das verbindende
Element war persönliche Sympathie. Die Spannungen kamen aus den
natürlichen Kontrasten und es hat sich bewährt, dass wir jeweils nur
knapp vor dem Auftritt Rezepte austauschten.
[18:25:18] AS: Aber du weißt ja schon, was du kochen wirst,
Kalbsfüße. In Florenz war es ein falscher Auerhahn. Wo findest Du diese
Rezepte, was interessiert Dich an diesen "vergessenen" Gerichten?
[18:28:26] IW: Ich habe viel in alten Kochbüchern gelesen und
finde das Kochen der Alten spannender als die heutige Hauben-Kocherei.
Das ist ein Begriff für einen Standard, der von den "Gourmet"-Medien
durchgesetzt wurde. Alle Restaurants mit Hauben sehen mehr oder weniger
gleich aus und bieten mehr oder weniger dasselbe; das Gebotene ist
sauber, hat Namen und Marken, die man kennt. Der Wiener Ausdruck dafür
ist "aufgemascherlt": viel Beiwerk und wenig Substanz, dafür teuer.
[18:29:51] AS: Du kochst bei der Performance vor und für das
Publikum, aber es gibt auch einen Film, wo man sieht, wie du das
Fleisch zerlegst, und in Florenz hast Du Deine Gobelins in einen Baum
gehängt. Wo fängt das Kochen an und wo hört die Kunst auf?
[18:30:06] IW: Vielen Leuten heute graust es vor solchen an sich
durchaus reinen und gesunden Teilen wie Kalbs- oder Schweinefüßen, und
das macht mir Spaß. Das ist eben die Koch-Kunst ... „Kunst ist, wenn
man‘s trotzdem macht“.
[18:31:22] IW: Einen Film über die Zubereitung des Kalbsfußglibbers werden wir auch machen und während unseres Auftritts zeigen.
[18:32:56] IW: Wir sollten übrigens auch wissen, dass, was ich
anbieten werde, in der traditionellen spanischen Küche (und auch in der
türkischen, wie eben früher auch in der österreichischen) zum Standard
gehört.
[18:33:59] AS: Noch ein PS zu den unreinen Füßen: Ist das ein
Ergebnis der Steak-Kultur, dass in Deutschland die normale Verwertung
von allem Fleisch unterschlagen wurde? In Italien findet man auf den
Märkten ja auch noch Füße und Kuhköpfe und die 5 Mägen...
[18:34:02] IW: Die Steak-Kultur kommt aus Amerika. Ich hätte nie
gedacht, dass sich der amerikanische Konformismus bis in den
europäischen Alltag durchsetzen wird, aber jetzt haben wir es.
[18:34:17] AS: Wenn ich es richtig weiß, tretet Ihr jetzt zum 3.
Mal gemeinsam auf. Du sagst schon, dass ihr "paarweise" so
unterschiedlich seid und es ist ja ein Phänomen eurer Performance, dass
da scheinbar Unzusammenhängendes gleichzeitig geschieht: Text und
Glibberfüße, Elektro-Sound und andere Akustik und Materialien und
Handlungen. Wie habt ihr zu den Wichteln und Wuchteln zusammen gefunden? Und wie kam der Name in die Welt?
[18:40:44] IW: Das vierte Mal. Mit "paarweise" meinte ich -- wie
Du richtig verstehst -- dass je zwei von uns stark voneinander
abweichen, also auch Rosa und Jan, Oswald und ich, Klaus und Oswald ...
Das Unzusammenhängende hängen wir zusammen, indem wir während des
Vortrags auf einander eingehen, z.B. mit einem Text eine musikalische
Phrase beantworten. Fast Alles wird improvisiert sein, aber wir wissen
(ungefähr ...!), womit sich die jeweils anderen beschäftigen.
[18:47:56] OW: Wichtel und die Wuchteln haben wir alle zusammen
erfunden, als wir unser "Nicht-Kollektiv" benennen mussten (für eine CD
aus Musik-Hohn). Ein Wichtel ist ein Wichtelmann, eine Wuchtel ist
wienerisch für ein "Hefeteig-Süßgebäck"; für uns steckt natürlich auch
das Wort "Wucht" drin. Wichtel ist jeder von uns; Wuchtel auch.
Vielleicht auch so: Wir sind skeptische Freunde.
[18:53:48] AS: Wie ernährt Ihr Euch in Dawson? Was esst Ihr heute Mittag oder Abend?
[18:57:43] IW: Der Nachbar hat uns
Deutsche Bank KunstHalle einen Lachs gefangen und
geräuchert, von dem ist ein Stück zu Mittag dran. Am Abend gibt es
einen Auflauf mit Ziegenkäse von einer Insel im Yukon-Fluß. Manchmal
bekommen wir Gemüse aus einem benachbarten Glas-Beet. Im Laden im Dorf
bekommt man nur US-amerikanisches Obst und Gemüse ohne Geschmack
(manchmal, mit Glück, mexikanische Ware, die essbar ist).
[18:58:29] IW: Bis vor fünfzehn Jahren hat es überhaupt nur
Tiefgefrorenes gegeben (wie auch jetzt noch in diversen kleinsten
Indianer-Siedlungen).
[18:59:13] AS: Baut Ihr auch selbst Gemüse an? Und angelt und jagt?
[19:02:26] IW: Wir müssten mit dem Gemüse-Anbau im März
beginnen, aber dazu haben wir sowieso keine Zeit und solange wir den
Nachbar haben... er ist zum Fischen berechtigt, weil er mit einer
Indianerin verheiratet war (außerdem ist er Trapper und Kapitän der
Fähre über den Yukon, mit der wir ins Dorf fahren). Lachse gibt es kaum
mehr, weil die Amerikaner am Unterlauf und vor der Mündung des Yukon
alles leergefischt haben.
[19:05:35] IW: Jagen dürfen auch nur die Indianer, die dabei
sind, die letzte große Caribou-Herde auszurotten, und die
Großwild-Jäger aus Deutschland, der Schweiz und USA, die ein Vermögen
für das Killen eines Bergschafs oder eines Grizzly zahlen (müssen).
[19:07:00] IW: Ansonsten ist ein jeder "legal resident"
des Yukon Territory berechtigt, jährlich auf Antrag einen Elch zu
töten, aber das machen wir nicht.
[19:07:29] AS: Ihr kommt Anfang September wieder zurück nach
Europa. Dawson ist ja kein Paradies, wie Du beschreibst. Was zieht Euch
immer wieder hin und her?
[19:12:49] OW: Wir haben hier ein winterfestes Haus gebaut und
können sehr gut arbeiten - wenn wir einmal (was jährlich schwieriger
wird) den Anreisestress überwunden haben. Dawson ist kein Paradies,
aber das Land, die Wildnis, die Arktis gewissermaßen ums Eck, zwischen
der Tundra und den ungeheuren Bergen (Sechstausender) ganz in der Nähe,
das ist woanders nicht zu haben. Vergesst nicht, dass wir bis vor
kurzem ein Flugzeug hatten und damit den ganzen Nordwesten von Amerika
durchforscht haben.
[19:13:32] IW: Wir haben unzählige Fotos gemacht von allen
möglichen Winkeln in Alaska (50 km Luftlinie von unserem Haus entfernt)
und im Yukon etc.
[19:15:43] OW: Ich bekomme wegen Herz-Rhythmus-Schwierigkeiten
keine medizinische Tauglichkeits-Bestätigung mehr. Vor drei Jahren
haben wir unsere Cessna 182 verkauft.
[19:17:23] AS: Hast Du in Kanada den Pilotenschein gemacht? Als ihr ankamt?
[19:19:51] OW: Den ersten Pilotenschein habe ich in den siebziger Jahren in Deutschland gemacht und hier 1985 dann noch den kanadischen.
[19:19:56] IW: Dawson ist kein Paradies und die jährlich immer mehr werdenden Touristen (Dawson City ist das Zentrum des berühmten Goldrausches 1898) sind dabei, uns wieder ganz nach Europa zu vertreiben. Ein Art Center gibt es auch schon hier, neuerdings.
[19:20:24] AS: Wahnsinn. Wer ist denn auf diese Geschäftsidee gekommen?
[19:23:40] OW: Gute Frage! Aber sie beantwortet sich von selbst:
Hier ist "Kultur" angekommen, weil es das Einzige ist, was die Indianer
haben (fast alle, könnte man meinen, sind Künstler geworden), und weil
die touristischen Besucher den Schichten angehören, bei denen die Kunst
als Lebensfaktor ca. 1980 angekommen ist.
[19:20:58] AS: Und, Oswald: Gibt es Texte von Dir über das Fliegen?
[19:24:18] OW: Ich habe nie über Dinge geschrieben, die mich sentimental berührt haben.
[19:26:37] AS: Un abbraccio + bis bald in Berlin! Angelika
[19:27:37] IW: Wir grüßen herzlich zurück: Guten Abend!
Süden
Villa Romana: Art, Music & Performance
27.8. – 8.9.2013
Deutsche Bank KunstHalle, Berlin
Finissage Performance
Wichtel und die Wuchteln,
"Heiße Füße"
8.9.2013
19:00
Deutsche Bank KunstHalle
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