Nur ein paar Augen sein Die andere Seite der Jeanne Mammen
Sie
gilt als „die“ Chronistin des Berlins der 1920er-Jahre. Doch jetzt wird
eine bislang wenig bekannte Seite der Malerin Jeanne Mammen entdeckt.
Im Rahmen des großen Ausstellungsprojekts „Painting Forever!“, das zur Berliner Art Week
startet, wird die Malerei gleich von vier bedeutenden Berliner
Ausstellungshäusern gefeiert. Für das einzigartige Gemeinschaftsprojekt
haben sich erstmals Berlinische Galerie, Deutsche Bank KunstHalle, KW Institute for Contemporary Art und die Nationalgalerie zusammengetan. In der KunstHalle steht „To
Paint Is To Love Again“
auf dem Programm. Einen zentralen Aspekt bildet dabei Jeanne Mammens
abstraktes, erstaunlich frisches Spätwerk, das gemeinsam mit Arbeiten
von drei zeitgenössischen Berliner Malerinnen präsentiert wird: Antje
Majewski, Katrin Plavčak und Giovanna Sarti. Anlässlich der Austellung
stellt Annelie Lütgens Jeanne Mammen und ihr Werk vor.
Jeanne Mammen in her studio, Berlin 1975. Photo Benedikt Kuby
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Jeanne Mammen, Mackensen, undated (ca 1939 – 1942), Jeanne-Mammen-Stiftung, Berlin. © Jeanne Mammen / VG Bild-Kunst, Bonn 2013, photo Angelika Weidling
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Jeanne Mammen, Sie repräsentiert (Faschingsszene), undated (ca 1928). Private collection, Berlin. © Jeanne Mammen / VG Bild-Kunst, Bonn 2013. Photo Archiv Förderverein der Jeanne-Mammen-Stiftung e.V.
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Jeanne Mammen, ca 1926. Photo Archiv Förderverein der Jeanne-Mammen-Stiftung e.V.
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Jeanne Mammen, Selbstbildnis (Self-Portrait), undated (ca 1926). Förderverein der Jeanne-Mammen-Stiftung e. V. © Jeanne Mammen / VG Bild-Kunst, Bonn 2013, photo Mathias Schormann
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Jeanne Mammen, Der heilige Antonius und die Königin von Saba, undated (ca 1910 – 1914), Jeanne-Mammen-Stiftung, Berlin. © Jeanne Mammen / VG Bild-Kunst, Bonn 2013. Photo Archiv Förderverein der Jeanne-Mammen-Stiftung e.V.
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Jeanne Mammen, Photogene Monarchen, undated(ca 1967), Max-Delbrück-Centrum, Berlin. © Jeanne Mammen / VG Bild-Kunst, Bonn 2013. Photo Archiv Förderverein der Jeanne-Mammen-Stiftung e.V.
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Kess
blickt uns die Garçonne direkt in die Augen. Zylinder auf dem Kopf,
Zigarette im Mundwinkel, eine junge Frau im Schlepptau. Sie
repräsentiert – unter diesem Titel erscheint das Aquarell von Jeanne
Mammen 1928 im Simplicissimus.
Und tatsächlich repräsentiert ihre androgyne Heldin einen Typus der
„Neuen Frau“ auf so treffende Weise, dass dieses Bild immer wieder
gezeigt wird, wenn es um das „lasterhafte Berlin“ der Weimarer Jahre
geht. Mit solchen Aquarellen und Zeichnungen, veröffentlicht in Simplicissimus, Jugend oder Ulk,
ist Mammen als Chronistin des Berliner Großstadtlebens bestens bekannt.
„Anmutig und herb“, nennt Kurt Tucholsky 1930 ihre Frauenfiguren. Der
Erfolg von Mammens Illustrationen beruht nicht zuletzt darauf, dass
ihre Diven und Revuegirls gleichermaßen von Männern und Frauen goutiert
werden.
Doch sie hinterlässt viel mehr: ein 70 Jahre umfassendes
malerisches und zeichnerisches Werk, dessen Brüche die Erschütterungen
des 20. Jahrhunderts vor Augen führen. Häufig wird sie auf die
„Zwanziger-Jahre-Künstlerin“ reduziert. Dabei wehrt sie sich stets
dagegen, eingeordnet zu werden. Dem Kunsthistoriker Hans Kinkel, der
mit der 85-jährigen Malerin 1975 ihr erstes und einziges Interview
führt, empfiehlt sie: „Sie müssen immer schreiben, meine Bilder sind
zwischen 1890 und 1975 entstanden. ... Eigentlich habe ich mir immer
gewünscht: nur ein Paar Augen sein. Ungesehen durch die Welt gehen, nur
die anderen sehen. Leider wurde man gesehen.“ Außenseitertum und
Selbstverneinung sind die Kehrseiten einer künstlerischen Existenz, die
das Vergessen bewusst in Kauf nimmt. 1974 anlässlich einer Ausstellung
um ihre Vita gebeten, liefert Mammen einen „Äußerlichen Kurzbericht“
ab, der einen Lebenslauf anhand von Brüchen und Verlusten skizziert.
Den sicher größten Einschnitt bildet dabei das Dritte Reich. Lakonisch notiert sie: „Mit Beginn der Hitlerzeit, Verbot oder Gleichschaltung
aller Zeitschriften, für die ich gearbeitet hatte. Ende meiner
‚realistischen‘ Periode, Übergang zu einer den Gegenstand aufbrechenden
aggressiven Malweise (als Kontrast zum offiziellen Kunstbetrieb).
Zweiter Weltkrieg: Keine Ölfarbe, keine Leinwand – alle Bilder aus
dieser Zeit sind mit Plakattempera auf Pappe gemalt.
Lebensmittelkarten, Stempeln, Zwangsarbeit, Bombenangriffe,
Zwangsausbildung zum ‚Feuerwehrmann‘: Brandwache schieben nach
Entwarnung bis 3 Uhr früh.“
Dabei stehen der künstlerisch begabten
Kaufmannstochter bis 1914 alle Wege offen. 1890 in Berlin geboren und
1895 mit der Familie nach Paris übergesiedelt, entwickeln sich Sprache
und Bildung im französischen Kulturkreis. Ihre starke Affinität zur
französischen Literatur, zu Victor Hugo und vor allem zu Gustave Flaubert
sowie zur symbolistischen Kunst des Fin de Siècle, führt sie nach
erster Ausbildung in Paris 1908 an die Kunstakademie in Brüssel. Hier
kann sie ihre eigenen Vorlieben für das Soziale einerseits und für die
Welt des Traums andererseits wiederfinden. Ihr erstes Hauptwerk, die um
1910 entstandenen zwölf Illustrationen zur Versuchung des Heiligen Antonius
sind dem Fantastischen geschuldet, ihre Skizzenbücher der 1910er-Jahre
dagegen voll mit Alltagsbeobachtungen auf den Boulevards von Paris,
Brüssel und Berlin. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs flieht Mammen mit
ihrer Familie aus Frankreich zunächst in die Niederlande. Ihr Vater,
der Kaufmann Gustav Oskar Mammen, wird als „feindlicher Ausländer“
eingestuft und der gesamte Familienbesitz wird beschlagnahmt.
1916
kehren die Mammens mittellos nach Berlin zurück. Jeanne und ihre
Schwestern müssen von nun an selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen.
Während in Berlin 1919 die Novemberrevolution
tobt, Künstler sich zusammenschließen und eine neue Kunst für eine neue
Gesellschaft fordern, ist Mammen mit dem puren Überleben beschäftigt.
Mit ihrer Schwester bezieht sie 1920 ein gemeinsames Atelier im
Gartenhaus am Kurfürstendamm 29, das über Jahrzehnte hinweg zu ihrem
Lebensgehäuse mutiert. Bei den zeichnerischen Erkundungen der Licht-
und Schattenseiten Berlins kommt der Künstlerin ihre Weltläufigkeit
zugute. Ob Große Welt, Halbwelt oder Proletarierkneipe, sie bewegt sich
überall souverän und unauffällig, fängt Menschen und Situationen mit
dem Stift ein, um sie im Atelier zu farbigen, vielfigurigen Szenen zu
verarbeiten. Stilistisch schöpft sie aus ihren französisch-belgischen
Wurzeln und bringt einen Hauch von Toulouse-Lautrec in den nüchternen Berliner Stil.
1933
wird Mammen zum zweiten Mal aus finanziell und künstlerisch gesicherten
Verhältnissen gerissen. Ihrer Verdienstmöglichkeiten beraubt, lässt sie
sich als arbeitslose Gebrauchsgrafikerin registrieren. Ihr Hass gegen
das NS-Regime führt sie zur abstrakten, als „entartet“
diffamierten Kunst. Die Gegenständlichkeit hat für sie ihre
Überzeugungskraft verloren, ist, da von der faschistischen Kunst
missbraucht, fortan diskreditiert. Während sie in der geschützten Runde
eines Abendaktkurses nach wie vor veristische Porträts ihrer
Zeitgenossen zu Papier bringt, zerbricht sie in ihren Gemälden die
Formen der Dinge. Die Vehemenz, mit der Mammen nun die Abstraktion
„nachholt“, gleicht einer selbstzerstörerischen Absage an alles, was
bisher ihre künstlerische Identität ausgemacht hat. Ein
kubo-expressionistisches Bild wie das Ende der 1930er-Jahre entstandene Mackensen ist eine wütende Karikatur mit den Mitteln moderner
Malerei: Es bezieht sich auf den gleichnamigen hochdekorierten Generalfeldmarschall aus dem Ersten Weltkrieg und Parteigänger Hitlers.
Bei
Kriegsende sitzen „die Überreste von Jeanne in den Überresten von
Berlin“, wie sie ihrem langjährigen Freund, dem in die USA emigrierten
Physiker Max Delbrück
schreibt. Ein Gefühl von Ruhe, gepaart mit Melancholie spricht aus den
Werken Mammens in der zweiten Hälfte der 1940er-Jahre. Sie
experimentiert mit „armen“ Materialien, bezieht Draht, Stricke,
Papierfetzen in ihre Bilder ein, treibt die Formabstraktion weiter. Bei
den ersten Ausstellungen moderner Kunst, unter anderem in der Galerie Gerd Rosen, ist Mammen selbstverständlich vertreten. Gemeinsam mit jungen Maler- und Dichterkollegen, darunter Alexander Camaro
und Werner Heldt, ist sie 1949/50 im literarischen Kabarett Die
Badewanne aktiv. Zum ersten Mal ist sie Teil eines Berliner
Künstlerkreises.
Wenn sich die Künstlerin nach 1950 dennoch
vollständig aus dem Kunstbetrieb zurückzieht, dann nicht zuletzt
deshalb, weil sie der massiven ideologischen Auseinandersetzung um die
moderne Kunst, die ab 1948 vor allem im geteilten Berlin die Dimension
des Kalten Krieges annimmt, müde geworden ist. Mit dieser Situation mag
auch der stark introvertierte Zug des Spätwerks zusammenhängen. Langes
Alleinleben macht sensibel für die Persönlichkeit der Dinge. Sie werden
zu Lebensgefährten, seien es Pflanzen, Tiere oder seltsam geformte
Steine, Strandgut, Masken, Puppen. Mitte der 1960er-Jahre tauchen in
Mammens Bildern Figuren auf, deren bizarre Formen und Frontalität nicht
nur an Mosaike und Wandfriese, sondern auch an Marionetten im flachen
Raum ihrer Spielbühne erinnern. Den Mosaikcharakter und das
folkloristische Element verstärkt die Künstlerin, indem sie farbiges
Stanniol, Pralinen- und Bonbonpapier in die Bildfläche einmontiert. Aus
kleinteiligen, labyrinthischen Strukturen entwickelt sich nach und nach
ein schrilles Figurentheater, das, wie in dem großformatigen Bild Photogene Monarchen auch durchaus einen zeitkritischen Impetus
enthalten kann, bezieht es sich doch auf den Schah-Besuch 1967 in
Berlin.
Während diese farbenprächtigen Kompositionen mit einer
lauten Formfülle argumentieren, eröffnet die zweite, parallel
entstandene Werkgruppe eine reduzierte, monochrome Welt der Stille. Auf
einen einheitlich hellen Bildgrund sind chiffrenhafte Zeichen gesetzt,
deren Form geometrisch wie biomorph sein kann. Stanniolpapier wird nur
sparsam eingesetzt. Assoziationen an Bilderrätsel stellen sich ein
(Kontemplation) oder es entfaltet sich vor unserem Blick scheinbar
eine mikroskopische Welt von Kleinstlebewesen (Der durchbohrte Mond).
In
dieser zwischen 1960 und 1975 entstandenen, kraftvollen letzten Phase
ihrer Kunst nimmt sich Mammen die Freiheit eines höchst eigenen
Stilpluralismus, der vielleicht erst heute gewürdigt werden kann. Seit
wir Moderne und Postmoderne durchlaufen haben, wissen wir, dass das
Neue in der Kunst nicht unbedingt gradlinige Forminnovation meint und
Authentizität nichts mit Genialität zu tun hat. Jeanne Mammen zieht die
Summe und schöpft aus dem, was sie in ihrem Leben gesehen und in sich
aufgenommen hat. Kein Kampf mehr gegen die Umwelt, nur langsame,
unverkrampfte Annäherung an den Tod. Nun hat sie Zeit, lange an einem
Bild zu malen, eine Farb-(Lebens-) schicht über die andere zu setzen,
wohl wissend: Die Vergangenheit ist stets gegenwärtig, und alles
Gelebte gilt.
Painting Forever! To Paint Is to Love Again Jeanne Mammen – Antje Majewski, Katrin Plavčak, Giovanna Sarti Deutsche Bank KunstHalle 18.9. – 10.11.2013
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