Installation view, The Circle Walked Casually, Deutsche Bank Collection, Photo: Mathias Schormann
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Installation view, The Circle Walked Casually, Deutsche Bank Collection, Photo: Mathias Schormann
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Kara Walker, Influence of the Recent Dead, 2001, © 2001 Kara Walker/ Courtesy of Sikkema Jenkins & Co., New York.
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Jakub Julian Ziólkowski, Ohne Titel, 2009, © Jakub Julian Ziólkowski.
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Ernst Barlach, Betrunkene Bettlerin, 1906
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Marlene Dumas, Untitled (Looking down), 1992, © Marlene Dumas & Galerie Paul Andriesse.
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Silvia Bächli, Untitled, 1989, © Silvia Bächli.
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Gerhard Richter, Kopf, 14.2.84, 1984, © Gerhard Richter 2013.
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John Cage, Where R = Ryoanji 9/R14, 1987, © John Cage Trust.
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Jiri Kolar, Untitled (from „Hommage à Mll. Riviere“), 1981, © Jiri Kolar Estate and Galerie Lelong, 2013.
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Wer die KunstHalle betritt, taucht ein in einen weißen, schier endlos wirkenden Raum. Im Kosmos von The Circle Walked Casually
konzentriert sich alles ganz auf die Bilder. Entlang einer
unsichtbaren, gewundenen Linie scheinen sie zu schweben – rund 130
Zeichnungen und Arbeiten auf Papier, Meisterwerke und selten gezeigte
Exponate. Mit Künstlern von Otto Dix über Joseph Beuys und Eva Hesse bis zu Kara Walker oder Jakub Julian Ziółkowski
dokumentiert sie künstlerische Ideen und formale Entwicklungen von der
Moderne bis ins 21. Jahrhundert. Gemeinsam mit der brasilianischen
Bühnenbildnerin, Kino- und Theaterregisseurin Daniela Thomas und dem Architekten Felipe Tassara konzipierte die argentinische Kuratorin Victoria Noorthoorn
eine Ausstellungsarchitektur, die die beiden Hauptmerkmale der
Zeichnung, nämlich Raum und Linie, auf völlig neue Weise erfahrbar
macht. „Es war einmal eine unendliche horizontale Linie im Raum…“ So
beginnt die fantastische Kurzgeschichte Genealogie des uruguayischen Autors Felisberto Hernández (1902–1964), die Northoorn zu The Circle Walked Casually
inspiriert hat. Darin verlieben sich ein Kreis und ein Dreieck und
reisen auf einer horizontalen Linie entlang. Die Linie als Sinnbild des
Zeichnens und die Idee einer imaginären, abstrakten Reise sind prägend
für das Ausstellungskonzept.
Bei Noorthoorn führt diese Reise durch die künstlerischen Visionen
eines ganzen Jahrhunderts. Zeichnen, das ist hier Ausdruck von
Imagination, Denken, Utopien, existenziellen Erfahrungen. Am Anfang der
Ausstellung steht die in sich gekehrte, einsame, menschliche Figur: So
trifft Ernst Barlachs Zeichnung Betrunkene Bettlerin (1906) auf Lucian Freuds Woman with arm Tattoo
(1996). Die Radierung zeigt eines von Freuds Lieblingsmodellen – „Big
Sue“ Tilley, die übergewichtige Abteilungsleiterin eines Londoner
Arbeitsamts. Sie zeugt von seiner Faszination für Fleisch, Haut, die
Verletzlichkeit des Menschen. Das Leben hat sich in den Körper dieser
Frau so eingeschrieben wie die Tätowierung in ihren Oberarm. Ein
fundamentales Statement liefert auch die Begegnung von Käthe Kollwitz eindringlicher Skizze Frau auf einer Bank sitzend (1905) mit einem Porträt von Rosemarie Trockel.
Einen Schimpansen hat sie wie bei einem klassischen Bildnis mit einem
Vanitas-Symbol ausgestattet – einem Totenkopf, den er wie Hamlet in
seiner Hand hält. Gern wird William Shakespeares
grüblerischer Held als Sinnbild für den Mensch an sich gesehen –
gefangen im Gegensatz zwischen Vernunft und Gefühl, auf der Suche nach
Antworten auf die grundlegenden Fragen seiner Existenz. „Jedes Tier ist
eine Künstlerin“, hat Trockel einmal als ironische Replik auf Beuys
erklärt – und so ist auch dieses Werk als Antwort auf ein
anthropozentrisches Weltbild zu verstehen.
Alles – die Auswahl der Werke, Ausstellungsarchitektur, der vom mexikanischen Künstler Erick Beltrán
konzipierte Katalog – basiert auf der Idee einer erzählerischen Linie,
die sich durch einen Dialog der Bilder untereinander entwickelt. Die
einzelnen Zeichnungen bilden Teile einer assoziativen Erzählung, die
sich von Bild zu Bild entfaltet. Und die nimmt, genau wie die
Linienführung von The Circle Walked Casually, immer wieder neue
Wendungen. So wie der Besucher an einigen Stellen von den Bildern
geradezu eingeengt wird, während sich der Raum dann wieder plötzlich
weitet, wechselt auch die Perspektive auf die Zeichnung, sei dies
inhaltlich oder formal: Die farbigen Slogans des uruguayischen
Künstlers Alejandro Cesarco zerfließen in den abstrakten Kompositionen von Katharina Grosse oder Gerhard Richter, die ihrerseits Kontakt mit einem Aquarell von Wassily Kandinsky aufnehmen. Die Körperbilder der Argentinierin Marina De Caro erzeugen im Dialog mit den fragilen Händen auf Louise Bourgeois' Serie 10a.m. Is When You Come To Me (2006) eine ebenso expressive wie zarte Choreografie.
The Circle Walked Casually bildet den Auftakt zu einer Serie von
Ausstellungen, die die Sammlung Deutsche Bank auf völlig neue Weise
erfahrbar machen. Dabei werden die unterschiedlichsten
Ausstellungskonzepte aufgegriffen, um die Geschichte der Sammlung zu
erzählen. In regelmäßigem Turnus sind renommierte internationale
Gastkuratoren eingeladen, in der Deutsche Bank KunstHalle thematische
Ausstellungen in experimentellen Formaten zu realisieren, die den Blick
auf unentdeckte Seiten der Sammlung eröffnen.
Eigens für The Circle Walked Casually wurden Zeichnungen von
zahlreichen Gegenwartskünstlern aus Afrika und Südamerika für die
Sammlung angekauft. Neben den jüngsten Generationen sind dabei auch
Positionen vertreten, die bereits in den 1960er und 1970er Jahren
prägend waren und jetzt wiederentdeckt werden – etwa die brasilianische
Künstlerin Anna Maria Maiolino, die als Zeitgenossin von Lygia Clark und Hélio Oiticica auf der jüngsten documenta gefeiert wurde. Oder David Koloane, der 1977 in Johannesburg die erste schwarze Galerie des Landes gründete und 2013 im südafrikanischen Pavillon auf der Venedig Biennale 2013 vertreten war. Mit ihrem innovativen Ansatz veranschaulicht Victoria Noorthoorns Ausstellung die
ganze Vielfalt internationaler Papierarbeiten in der Sammlung Deutsche
Bank. Dabei bringt The Circle Walked Casually Werke aus den
unterschiedlichsten Kontinenten, Zeiten und Kulturen in einen komplexen
Dialog, der gleichzeitig auch Raum für eigene Entdeckungen
lässt.
The Circle Walked Casually
28.11.2013 – 2.3.2014
Deutsche Bank KunstHalle
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