Der Mann, der die Pop Art erfand London feiert Richard Hamilton
Er
prägte den Begriff „Pop Art“ wie kein anderer, arbeitete zusammen mit
Marcel Duchamp und scheute nie die Auseinandersetzung mit politischen
Themen. Richard Hamilton, der mit zahlreichen Arbeiten in der Sammlung
Deutsche Bank vertreten ist, gilt als einer der bedeutendsten
britischen Künstler des zwanzigsten Jahrhunderts. Drei Jahre nach seinem Tod
feiern ihn mit der Tate Modern und dem ICA gleich zwei Londoner
Institutionen. Eddy Frankel über einen Pop-Art-Pionier, dessen Einfluss
auf jüngere Generationen kaum zu überschätzen ist.
Richard Hamilton, Just what was it that made yesterday's homes so different, so appealing?, 1992, © Richard Hamilton.
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Richard Hamilton, Just what is it that makes today's homes so different?, 1994. Deutsche Bank Collection
© R. Hamilton. All Rights Reserved / VG Bild-Kunst, Bonn 2014
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Richard Hamilton, I'm dreaming of a black Christmas, 1971. Deutsche Bank Collection
© R. Hamilton. All Rights Reserved / VG Bild-Kunst, Bonn 2014
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Richard Hamilton, Swingeing London 67, 1968–9. © The estate of Richard Hamilton.
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Richard Hamilton, Toaster, 1967. Deutsche Bank Collection
© R. Hamilton. All Rights Reserved / VG Bild-Kunst, Bonn 2014
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Richard Hamilton: an Exhibit (in association with Victor Pasmore and Lawrence Alloway), Installation view, Institute of Contemporary Arts, London, 1957. © Richard Hamilton Studio.
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Richard Hamilton: an Exhibit (in association with Victor Pasmore and Lawrence Alloway), Installation view, Institute of Contemporary Arts, London, 1957. © Richard Hamilton Studio.
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Richard Hamilton, Interior II, 1964. © The estate of Richard Hamilton.
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Es ist nicht gerade ein spektakuläres Bild. Stattdessen wirkt Richard Hamiltons Just What is it that Makes Today's Homes So Different, So Appealing?
eher unruhig, widersprüchlich, beinahe vollgestopft mit Details und
Motiven. Die 1956 entstandene Collage kommt leise, aber angriffslustig
zur Sache – der Attacke auf Werbebilder, Konsumgüter und luxuriöse
Haushaltsgeräte. Auf den ersten Blick scheint es kaum vorstellbar, dass
ausgerechnet dieses Werk für eine ganze Generation zur Ikone wurde und
den Grundstein für eine neue Bewegung legen sollte.
Und doch ist mit Bestimmtheit zu sagen, dass Hamiltons berühmtestes Bild den ersten Schritt hin zu dem markiert, was wir heute Pop Art nennen. Es waren Hamiltons Fußstapfen, in die Größen wie Andy Warhol und Roy Lichtenstein
treten sollten. In den letzten Jahren ist das Interesse an Pop seitens
der Museen wieder enorm gewachsen. Die internationalen Pop
Art-Ausstellungen in der Tate oder dem Whitney Museum waren Publikumsmagneten. Für das Art Institute of Chicago
war seine Lichtenstein Schau die erfolgreichste des letzten Jahrzehnts.
Als sie im Anschluss von der Tate Modern übernommen wurde, brach sie
auch dort alle Zuschauerrekorde. Die Blase der Pop Art ist weit davon
entfernt zu platzen: In 2014 werden rund um den Globus sogar noch mehr
Pop-Shows stattfinden.
Hamiltons Pionierrolle für die
Entwicklung dieser Strömung ist in akademischen Kreisen unbestritten.
Und doch hat er beim breiten Publikum längst nicht dieselbe
Aufmerksamkeit erfahren wie seine bedeutend erfolgreicheren
amerikanischen Zeitgenossen. Allem Anschein nach soll sich das nun
ändern: Die Tate Modern präsentiert eine große Retrospektive der
Arbeiten des 1922 geborenen Künstlers in Zusammenarbeit mit dem Institute of Contemporary Art (ICA), das zeitgleich zwei seiner Installationen aus den 1950er-Jahren zeigt.
So
ist es nicht nur konsequent, dass auch das ICA bei dieser
Wiederentdeckung eine zentrale Rolle spielt, denn eben hier nahm
Hamilton am ersten Independent Group Meeting teil, wo er auf Künstler
und Theoretiker wie Eduardo Paolozzi, William Turnbull und John McHale
traf. Es waren die knallbunten amerikanischen Werbebilder, die Paolozzi
bei diesem ersten Treffen projizierte, die Hamilton anregten, den
Massenmarkt als Inspirationsquelle für seine eigenen Arbeiten zu
nutzen. Die dort versammelten Künstler entwickelten eine Definition von
Pop Art, die an Phänomene wie die Konsumwelt, das Starsystem Hollywoods
und die Populärkultur anknüpfte. Als sie 1956 mit der bahnbrechenden
Ausstellung This is Tomorrow in der Whitechapel Art Gallery
erstmals öffentlich auftraten, sorgte ihre unverfrorene, signalhafte
Ästhetik für Schockwellen in der Kunstszene. Hamiltons ikonische
Collage, in der das Wort „Pop“ unübersehbar den überdimensionalen
Lutscher in der Hand des halbnackten Bodybuilders zierte, wurde dort
zum ersten Mal gezeigt.
Es ist beinah unmöglich, die exakten
Ursprünge der Bewegung festzumachen. Unterschiedliche Quellen schreiben
die Prägung des Begriffs „Pop“ mal McHale, mal Paolozzi oder eben
Hamilton zu. Mark Godfrey,
der Kurator der Tate-Retrospektive, erklärt, er stamme ganz allein von
Hamilton. „Im Januar 1957 schrieb er einen Brief an die Architekten Alison und Peter Smithson.
Darin listete Hamilton seine Stichworte in Sachen Pop Art auf: populär,
flüchtig, jung, massenproduziert, sexy, big business, billig,
überflüssig, witzig und glamourös – das waren seine Kriterien für Pop
Art. Er prägte den Begriff. Natürlich erschien das Wort bereits im Jahr
zuvor in seiner Collage und ich kann mir vorstellen, dass die
Mitglieder der Independent Group schon damals darüber diskutierten. Aber es war dieser Brief an die Smithsons, der den Begriff wirklich prägte.“
Hamiltons Kunst entsprach vielen dieser Kriterien, nicht zuletzt dadurch, dass er Produktdesign zu Kunst erhob – inspiriert von Marcel Duchamps
Ready-mades. Der französische Kunstrevolutionär zählte zu Hamiltons
großen Helden und Freunden. Staubsauger, Fernseher, Tonbandgerät,
Dosenfleisch – in Just What is it… sind sie ebenso wichtig wie
alle anderen Bildmotive. Die Idee der Schönheit von Design, vom
Kunstwerk als massenhaft produziertem Ready-made, kommt auch in Toaster (1967) aus der Sammlung Deutsche Bank
deutlich zum Ausdruck – dem Bild eines Braun-Küchengeräts, kombiniert
mit Texten aus Werbebroschüren. Hamiltons Bewunderung für Dieter Rams, den Chefdesigner von Braun, ist hier offensichtlich. Ebenso wie die Bezüge zu dem berühmt-berüchtigte Ready-made Fountain
(1917), für das Duchamp ein handelsübliches, umgedrehtes Urinal zum
Kunstwerk deklarierte. Das Beeindruckendste an Toaster ist jedoch, wie
Hamilton sich kommerzielles Material für seine künstlerischen Zwecke
aneignet. Er sah in kommerziellen Produkten dieselbe Schönheit wie in
Bildern für Galerien – eine Idee, die später auch die Karrieren von
Warhol, Lichtenstein und zahlreichen anderen Künstlern bestimmen
sollte.
Doch Hamilton war alles andere als ein unkritischer
Verfechter der Konsumgesellschaft. Stets gibt es einen satirischen
Aspekt in seinen Arbeiten. „Er ist nicht völlig von den Werten des
Konsumkapitalismus überzeugt, denn die meisten seiner politischen
Arbeiten zeugen von einer eher linken Position“, erläutert Godfrey.
„Zwar schätzt er die neuen Objekte der Konsumkultur, aber er betrachtet
sie eben nicht nur positiv.“
Auch wenn die politischen Aspekte
seiner Arbeiten erst im späteren Verlauf seiner Karriere offensichtlich
werden, ist es vor allem die Vielfalt seiner Arbeiten, die ihn so
interessant macht. Von den frühen Collagen über die ikonischen
Darstellungen der Verhaftung seines Freundes Mick Jagger auf dem Gemälde Swingeing London 67
(1967) bis hin zu seinen späten Bildern experimentierte er unentwegt .
Darin sieht Godfrey einen wesentlichen Grund für Hamiltons Aktualität:
„Man interessiert sich für ihn, weil er ein Künstler ist, der sich auf
komplexe Weise zwischen den Extremen bewegt – Werken über
Designprodukte und Werken, die sich mit ernsten politischen Themen wie
dem Irland-Konflikt und Tony Blairs Irak-Krieg auseinandersetzten.“ Der
Kurator betont einen ganz entscheidenden Aspekt: Hamilton ruhte sich
nie auf seinen Lorbeeren aus.
Diese Rastlosigkeit mag auch von
seinem Idol Duchamp inspiriert sein. Die beiden Künstler freundeten
sich in den 1960er-Jahren an, und Hamilton erhielt Duchamps Erlaubnis,
Kopien von dessen Vitrinen-Arbeit Großes Glas (La Mariée mise à nu par ses célibataires, même)
(1915-23) anzufertigen, sodass die zerbrechliche Arbeit auf Reisen
gehen konnte. Tatsächlich ist die von Duchamp signierte Version der
Tate Modern eine Kopie Hamiltons. Die Idee der Kopie zog später weitere
Kreise – als Hamiltons eigene Collagen mit der Zeit ebenso fragil
wurden. So hängt das Original von Just What is it… weiterhin an den Wänden der Kunsthalle Tübingen,
während das in der Retrospektive gezeigte Werk eine Kopie aus dem Jahr
1992 ist. Dieses Infragestellen der Autorschaft, das Kopieren und die
Aneignung von Bildern sind nicht nur für Hamiltons Werk
charakteristisch, sondern für die gesamte Pop Art.
In einer Zeit großer politischer Konflikte entfachte Hamilton eine weitere Kontroverse – mit The Citizen (1982-83), einem Porträt des in Folge seines Hungerstreiks verstorbenen IRA-Aktivisten Bobby Sands.
Damals machte ihn seine Bereitschaft, solch schwierige Themen
anzugehen, zu einem Außenseiter in der britischen Kunstszene. Doch
stets wandelte er sich, änderte die Richtung. So paraphrasiert sein
Siebdruck Soft Blue Landscape aus der Sammlung Deutsche Bank Giorgiones
berühmtes Landschaftsgemälde Das Gewitter (1505). „Die
Botschaft der Ausstellung ist, dass die Pop Art nur eines von vielen
interessanten und wichtigen Kapitel seines Lebens ist“, erklärt Godfrey.
Hamilton
ist ein ebenso wichtiger wie prominenter Künstler. Aber lässt sich ein
offensichtlicher Einfluss auch auf zeitgenössische Positionen erkennen
– etwa auf Jordan Wolfson, Laure Prouvost oder auch Damien Hirst,
die sich ebenfalls mit Themen wie Werbung und Medien- und
Konsumgesellschaft beschäftigen? Vielleicht nicht. Und doch kann man
eine direkte Linie von seinem Werk zu den Arbeiten zahlreicher
Gegenwartskünstler ziehen. Hamilton fungiert als Pionier, als eine Art
revolutionäre Vaterfigur, die Grenzen einriss und den Weg für heutige
Künstler ebnete. Seine Arbeiten öffneten der Kunst den Zugang zu Ideen
von Appropriation und der Auseinandersetzung mit der
Konsumgesellschaft, die das zeitgenössische Kunstschaffen noch immer
entscheidend prägen. Mark Godfrey: „Seinen Einfluss erkenne ich in ganz
unterschiedlichen Positionen, etwa in den Fotografien von Christopher Williams, den Arbeiten und der Ausstellungspraxis von Mark Leckey oder bei Jeremy Dellers Pavillon auf der Biennale von Venedig mit seiner starken politischen Haltung. Andere interessieren sich wiederum für seine Bezüge zur Mode oder zu Roxy Music [Hamilton war an der Universität der Lehrer von Roxy Music-Sängers Bryan Ferry],
oder seinen Einsatz von Polaroid-Fotos. Sein Werk ist reich an ganz
unterschiedlichen Aspekten, an die die Jüngeren anknüpfen können.“
Wieder ist es Hamiltons Vielseitigkeit, die den Schlüssel für seine
Wirkung zu bilden scheint. Er war stets weit davon entfernt, „nur“ ein
Pop-Künstler zu sein.
Die beiden großen Ausstellungen in London sowie kleinere Shows, die zeitgleich etwa in der Alan Christea Gallery
stattfinden, eröffnen dem Publikum zum ersten Mal die Möglichkeit, alle
Aspekte von Hamiltons Schaffen an einem Ort kennenzulernen – eine
Gelegenheit, die man sich nicht entgehen lassen sollte.
Richard Hamilton Tate Modern 13.2. – 26.5.2014
ICA 12.2. – 6.4.2014
Alan Christea Gallery 14.2. - 22.3.2014
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