Die Sprache der Kunst neu denken Die Whitney Biennial 2014 erweitert den Diskurs
Stuart
Comer ist einer der drei Kuratoren der diesjährigen Whitney Biennial.
Er träumt von einer Ausstellung, die den technologischen Wandel ebenso
thematisiert wie die neuen künstlerischen Möglichkeiten von Sprache,
Gemeinschaft und Aktion. Travis Jeppensen, einer der Autoren, die er zu
der Biennale eingeladen hat, trifft ihn in New York.
Stuart Comer, one of the curators of the 2014 Whitney Biennial. Photo: Geordie Wood.
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Ken Okiishi, gesture/data, 2013. Courtesy the artist and Reena Spaulings Fine Art, New York. © Ken Okiishi.
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Ken Okiishi in his New York studio. Photo: Geordie Wood.
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Stuart Comer meets Bjarne Melgaard in his studio, Bushwick, Brooklyn. Photo: Geordie Wood
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Jacolby Satterwhite, Transit, 2014. Courtesy of Monya Rowe Gallery and Mallorca Landings Gallery.
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Dawoud Bey, Maxine Adams and Amelia Maxwell (from The Birmingham Project), 2012. Courtesy of the artist. © Dawoud Bey.
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My Barbarian (Malik Gaines, Jade Gordon, and Alexandro Segade), still from Universal Declaration of Infantile Anxiety Situations Reflected in the Creative Impulse, 2013. Courtesy Susanne Vielmetter Los Angeles Projects.
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Robert Ashley and Alex Waterman, Performance of El Parque, Vidas Perfectas, Irondale Theater, Brooklyn, NY, 2011. Courtesy of the artist. Photo: Phillip Stearns.
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Dashiell Manley, Scene 3 Version B 2, 2013. Courtesy of the Artist, Redling Fine Art, and Jessica Silverman Gallery. Photo: Jeff Mclane.
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Tony Lewis, peoplecol, 2013. Courtesy the artist and Shane Campbell Gallery, Chicago. Photo: Robert Chase Heishman.
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Charline von Heyl, Folk Tales, 2013. Courtesy of the artist and Petzel, New York. Photo: Jason Mandella.
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Relationship (Zackary Drucker and Rhys Ernst, 2008). Courtesy of the artists and Luis De Jesus Los Angeles. Photo: Zackary Drucker.
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Es
gibt wohl kaum einen anderen Kurator, der sich in der letzten Dekade so
leidenschaftlich für das Medium Film eingesetzt hat wie der Amerikaner Stuart Comer. Sein diesbezügliches Wissen ist geradezu enzyklopädisch. Deshalb berief ihn die Tate Modern 2004 auch zu ihrem ersten Kurator für die Filmsammlung, die Comer in den letzten Jahren systematisch ausgebaut aufgebaut hat.
Begonnen hat seine Karriere in Los Angeles, wo er in seinen Zwanzigern im Buchladen des Museum of Contemporary Art
arbeitete und enge Kontakte zur dortigen Kunstszene knüpfte. Für seinen
Master-Abschluss als Kurator ging er nach London an das Royal College of Art.
Nach zehn Jahren in Großbritannien ist er jetzt wieder in die Staaten
zurückgekehrt – als Chefkurator für Medien- und Performancekunst am New
Yorker MoMA. Und als einer der drei Kuratoren des wohl wichtigsten Kunstevents der USA: der Whitney Biennial.
Wie Comer sind auch seine beiden Mitstreiter Anthony Elms und Michelle Grabner
keine New Yorker. Ganz ausdrücklich war es diesmal das Ziel, Kuratoren
zu beauftragen, die nicht aus der Kunstszene der Stadt stammen und eine
Außenperspektive mitbringen. Comer ist dabei der einzige Kurator im
traditionellen Sinne. Sowohl Grabner als auch Elms sind Künstler, die
sich als Kuratoren profiliert haben, Kunsträume oder Magazine betreiben
und an Universitäten arbeiten.
Whitney Biennial 2014Regelmäßig
sorgt die New Yorker Whitney Biennial für heftige Kontroversen. Alle
zwei Jahre wagt die seit 2006 von der Deutschen Bank geförderte, wohl
bedeutendste Schau für US-Gegenwartskunst eine aktuelle
Bestandsaufnahme. Dieses Jahr veranschaulicht die Biennale mit über 100 Teilnehmern, was die Szene beschäftigt.
Wichtige Themen sind interdisziplinäres Arbeiten und kollektive
Aktionen, abstrakte Malerei, Künstler und Filmemacher, die schreiben
oder Literaten, die mit Sprache und Sound experimentieren. 7.3. – 25.5.2014whitney.org
Das Dreigestirn organisiert
allerdings keine große gemeinsame Schau – jeder bespielt ein eigenes
Stockwerk. Dennoch gibt es viele gemeinsame Themen. Dazu gehören die
Beschäftigung mit dem Schreiben oder der Fokus auf relevante
Positionen, die bisher vom Kunstbetrieb übersehen wurden. Einen
Schwerpunkt bildet zugleich die Auseinandersetzung mit dem Begriff der
künstlerischen Autorenschaft, der im 21. Jahrhundert zunehmend
verschwimmt und durch das multidisziplinäre, kollaborative Arbeiten
eine neue Bewertung erfährt. Dafür könnten auch Comer und seine
Co-Kuratoren Modell stehen: autonom und doch gemeinschaftlich.
Comer
ist getrieben von seiner überschwänglichen Liebe zu Kunst und Film, für
die er sich rund um die Uhr und rund um den Globus einsetzt. Als ich
mit ihm am ersten freien Tag seit seiner Ankunft in New York spreche,
will er lieber rausgehen und die neuesten Ausstellungen in Chelsea
ansehen, als die Umzugskisten auszupacken, die seit drei Monaten in
seiner neuen Wohnung stehen. Angesichts von Comers Engagement für den
Film und das Schreiben und der Tatsache, dass ich als Autor dieses
Beitrags zu den wenigen Schriftstellern zähle, die er zu der
Ausstellung auf seiner Etage eingeladen hat, bin ich natürlich
neugierig zu erfahren, warum für ihn als Kurator die Sprache solch eine
zentrale Rolle im Rahmen der Biennale einnimmt.
„Jede Form von Kunst, und das geht sogar zurück bis in die Renaissance,
hat in irgendeiner Weise Sprache einbezogen“, erklärt er. „Ich war
schon immer fasziniert von den Gemälden der Renaissance, auf denen die
Engel Worte zu Gott sprechen. Diese Worte stehen noch dazu auf dem
Kopf, damit Gott sie besser lesen kann. So fing ich an, darüber
nachzudenken, wie Sprache im Laufe der Geschichte auf Bildern verwendet
wurde und wie sie die Kunst insgesamt geprägt hat. Im 20. Jahrhundert
macht sich das ganz besonders bei den Dadaisten, die sich intensiv mit Sprache befasst haben, oder im Surrealismus bemerkbar. Das hat sich in der Konkreten Poesie
und der Konzeptkunst weiterentwickelt, in denen die Sprache eine
zentrale Rolle spielt. In den 1980er-Jahren gibt es haufenweise Text-
und Bildarbeiten, die sich mit der Sprache in den Medien
auseinandersetzen. Heute haben das Internet und neue Technologien die
Grenzen zwischen Sprache und Bild beinahe aufgehoben. Wir
kommunizieren, indem wir auf den Touchscreens unserer iPhones ständig
Bilder berühren, die ihrerseits in eine Matrix aus Sprache eingebunden
sind. Das strukturelle System der Sprache klingt wiederum in der
visuellen Praxis vieler Künstler nach. Deshalb hat es mich so
interessiert, die Arbeiten von Channa Horwitz
zu zeigen. Was bei ihr wie ein abstraktes Bild oder eine
zweidimensionale Zeichnung aussieht, ist tatsächlich etwas
Mathematisches oder die Partitur für eine Performance.“
In
Comers Ausstellung sind außerdem einige bekannte Namen vertreten, die
die Whitney Biennial als Plattform für experimentelle und häufig auch
kollaborative Formate nutzen. „Multidisziplinär“ lautet hier das
Stichwort. Bjarne Melgaard,
eher als chaotisch-expressiver Maler und Bildhauer bekannt, arbeitet
diesmal mit Filmemachern und Möbeldesignern an einer Rauminstallation,
die auf meinem Roman The Suiciders basiert. Catherine Opie und Richard Hawkins zeigen nicht ihre eigenen Arbeiten, sondern steuern stattdessen eine Präsentation von Werken des 1990 verstorbenen Künstlers Tony Greene bei, dessen Gemälde in einem engen Dialog mit dem Medium Fotografie entstanden sind.
Im
Vorfeld wurde viel Wirbel um die abstrakten Maler veranstaltet, die
dieses Jahr auf der Biennale ausgestellt werden. Kuratorin Michelle
Grabner, selbst eine abstrakte Malerin, hat eine Reihe von wichtigen
abstrakten Malerinnen wie etwa Amy Sillman und Jacqueline Humphries
eingeladen. Comer entgegnet allerdings, dass auf seiner Etage mehr
figurative Positionen zu sehen seien, neben Tony Greene etwa Keith Mayerson. „Es ging mir auch darum, Bereiche zu erkunden, in denen es um Malerei geht, allerdings nicht unmittelbar. So hat Jacolby Satterwhite
ein Video realisiert, obwohl er eigentlich Malerei studiert hat und
sich sehr intensiv mit italienischen Renaissancemalern beschäftigt. Er
denkt und arbeitet sehr stark wie ein Maler.“
Einer der interessantesten Künstler der Ausstellung ist Ken Okiishi,
der gerade daran arbeitet, die Malerei in das digitale Zeitalter zu
überführen. Okiishi beschäftigt sich mit dem Zerfall von Sprache und
Bildern in der digitalen Gesellschaft. Seine „Leinwände“ sind
Flachbildschirme, auf denen er alte, digital überarbeitete VHS-Videos
laufen lässt, die durch den Reproduktionsprozess abstrakt werden. Diese
digitalen Abstraktionen übermalt Okiishi wieder gestisch und reagiert
mit dem Pinsel auf die elektronischen Rhythmen und Muster.
„Ich
finde seine Arbeiten absolut konsequent “, erklärt Comer. „Man hat das
Gefühl, dass es zwischen dem Pinselstrich und dem unsichtbaren
Eingriff, mit dem das digitale Bild manipuliert wurde, einen wirklichen
Dialog gibt. Er spielt mit der Vorstellung, dass du den Pinselstrich
besser kontrollieren kannst als die Technologie, die sich hinter diesem
minimalistischen Monolith, dem Bildschirm, versteckt. Ich denke, dass
seine Arbeit viele Debatten berührt, die weit über die digitale Welt
und die Frage, was Leinwand oder Bildschirm heutzutage bedeuten,
hinausgehen.“
Comer sieht Okiishis Werk ganz offensichtlich nicht im Zusammenhang mit dem aktuellen Hype um die „Digital Art“.
Das außergewöhnliche Talent des Kurators besteht darin, den Zeitgeist
festzuhalten, ohne von ihm mitgerissen zu werden. Das hat auch viel mit
seiner Sprache zu tun – sie ist geistreich und urban und kommt dabei
ohne Fachjargon aus. So fallen in unserer Unterhaltung eher Wörter wie
„Gespräch“ und „Dialog“ anstelle von „Diskurs“. Angesichts seiner
Sprache wird auch deutlich, wie sehr er daran interessiert ist, die
Barrieren zwischen Medien und Generationen zu überwinden und dabei auch
eine poetische, offene Gesprächsform zu entwickeln, die keine
Trennlinie zwischen Künstler und Publikum mehr zieht.
Nach einem
Moment des Nachdenkens fährt Comer fort: „Ich interessiere mich nicht
wirklich für die gegenwärtigen Debatten über den ‚Neuen Objektbegriff‘,
die ‚Neue Materialität‘ oder die Zweckentfremdung von Begriffen wie
‚Prekarität‘. Natürlich besitzen all diese Modeworte eine gewisse
Relevanz – ich will sie auch gar nicht grundsätzlich infrage stellen.
Aber ich will ganz bewusst keine Whitney Biennial, die offensichtlich
mit jungen Künstlern punkten möchte, deren Arbeit nur irgendwie
‚digital‘ aussieht – mit vielen bunten Pixeln und USB-Sticks.
Grundsätzlich geht es uns um extreme Wandelbarkeit. Und mich
interessieren dabei vor allem Werke, die so funktionieren, wie es die
Gender- Theoretikerin Beatriz Preciado
beschreibt: als ‚molekulare Türen‘, die eine unerschöpfliche Vielfalt
von Formen, Geschichten und Möglichkeiten eröffnen, wenn man über ihre
Schwelle tritt.“
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