Dayanita Singh & Gerhard Steidl. Photo: private. Illustration: Melanie Achilles
|
Installation view "Dayanita Singh: Go Away Closer", Hayward Gallery,
London, 2013 © Stephen White
|
Wallpaper by Dayanita Singh in the Deutsche Bank Towers, Frankfurt. © Dayanita Singh, Courtesy of the artist and Frith Street Gallery, London, Photo: Frank Marburger & Klaus Helbig
|
Dayanita Singh, from “Dream Villa”, 2008, Courtesy Nature Morte, New Delhi/Berlin
|
Dayanita Singh, Koshy Kids, Bangalore, 1997/2005. Deutsche Bank Collection. © Dayanita Singh
|
Dayanita Singh, DMV 20, from “Dream Villa”, 2008. Deutsche Bank Collection
|
Dayanita Singh, from “Go Away Closer”, 2007. Courtesy the artist
|
Dayanita Singh, Uma Dubash, Morvi 2002/2005. Deutsche Bank Collection. © Dayanita Singh
|
Dayanita Singh, from “Myself, Mona Ahmed”, 2008. Courtesy Nature Morte, New Delhi/Berlin
|
|
|
Gerhard Steidl:
Als ich anfing, hatte ich die Idee, Fotos in Buchform zu drucken und so
das Buch die Galerie sein zu lassen. Das wäre ein sehr einfacher Weg,
um die Fotografie auf der ganzen Welt zu verbreiten. Ein Australier
oder Südamerikaner wird wahrscheinlich nie eine Galerie in London
betreten, aber er kann einfach ein Buch bestellen und die Fotografien
in der gleichen Qualität wie in der Galerie betrachten. Dank der
heutigen Druckqualität ist das überhaupt kein Problem mehr. Viele
Fotografen sagen inzwischen, dass einige, die meisten oder manchmal
sogar alle in einem Buch abgedruckten Fotografien besser aussehen als
die Abzüge, die sie in Ausstellungen zeigen.
Dayanita Singh: Demnächst habe ich eine Ausstellung im MMK in Frankfurt. Sie fragten mich, ob wir ein Künstlerbuch machen können. Ich denke, mit File Room
– der in das Cover eingelassenen Fotografie und den unterschiedlichen
Farben des Einbands – ist uns wirklich ein Durchbruch gelungen. Es ist
ein wunderschönes Buch, das auch als Kunstwerk verstanden werden kann.
Wegen des sehr preiswerten Papiers, das wir ausgesucht haben, hat es
eine Haptik wie kein anderes Fotobuch. Also, wenn wir schon
unterschiedliche Farben für den Einband nutzen, könnten wir dann auch
verschiedene Aufnahmen für das Cover verwenden?
Dayanita Singhist weit mehr als nur eine Chronistin des heutigen Indiens. Mit
ihren Buchprojekten und „tragbaren Museen“ hinterfragt Singh die
Grenzen und Repräsentationsformen des Mediums Fotografie. Eine ganze
Etage ist ihr in den Deutsche Bank-Türmen gewidmet. Ab September zeigt das Frankfurter MMK ihre grandiose Werkschau Go Away Closer. Gerhard Steidl arbeitet seit 1967 als Gestalter und Drucker, anfangs u. a. für Joseph Beuys. Seit Mitte der 1980er-Jahre erscheinen alle Bücher von Günter Grass
im Steidl Verlag. 1993 beginnt seine enge Zusammenarbeit mit Karl
Lagerfeld. Steidl verlegt Bücher von international renommierten
Fotografen und Künstlern wie Ed Ruscha, William Eggleston und Juergen Teller.
GS: Ja, das können wir.
DS: Großartig,
das verschafft uns unzählige Möglichkeiten. Statt der Abzüge könnte ich
in meinen Ausstellungen auch Bücher zeigen. So könnte ich eine
komplette Ausstellung mit vielleicht 35 Bildern für ungefähr 1500 Euro
machen. Das wäre unglaublich. Ich möchte nicht länger Fotografien mit
einem Passepartout oder im Rahmen zeigen. Stattdessen würde ich die
einzelnen Fotografien auf den Buchcovern ausstellen. Ich dachte daran,
das Buch Go Away Closer Two zu nennen.
GS: Kein besonders guter Titel.
DS: Und wie findest du Museum of Chance?
GS: Viel besser! Go Away Closer Two hört sich an wie die S- oder E-Klasse von Mercedes oder irgendetwas Industrielles.
DS: Nennen wir es also Museum of Chance. Außerdem möchte ich einen Steidl/Singh-Shop in der Ausstellung haben.
GS: Einen temporären Laden, nur mit deinen Büchern?
DS: Nein, ich dachte, es sollte eine Auswahl mit Steidl-Büchern geben.
GS: Wenn
jemand die Bücher persönlich auswählt, nennen wir es ‚Kuratierter
Buchladen‘. Das ist ein Konzept für den Buchladen der Zukunft. In
Buchhandelsketten wie Barnes and Noble
gibt es keine ausgebildeten Buchhändler mehr, nur noch Leute, die den
Strichcode einscannen können. Keiner kann einem mehr etwas über ein
bestimmtes Buch sagen. Das Gegenteil davon wäre, einen kleinen
Buchladen zu haben, in dem alles vom Geschmack des Besitzers bestimmt
ist. Die Leute kaufen nicht nur die Bücher, sie kaufen auch die
Kenntnisse und den Geschmack des Ladenbesitzers.
DS: Ich werde den Laden hüten. Ich hoffe, Du kommst einmal die Woche vorbei.
GS: Gute Idee. Ich trag‘s schon mal in meinen Kalender ein. (lacht)
DS: Wie nennen wir den Laden? Steidl/Singh oder Singh/Steidl?
GS: Ich würde da kein Wortspiel draus machen. Ich sage immer, ich hätte keine Geschäftspartner. Und die Leute würden dann denken…
DS: Ich habe sowieso schon allen gesagt, dass wir verheiratet sind. (lacht)
GS: Oh, super. Wo ist der Ehering? Nennen wir es doch einfach Steidl Pop-Up-Store – kuratiert von Dayanita Singh. Dann versteht jeder, worum es geht. Wird es auch Text in dem Buch geben?
DS: Bisher noch nicht, es ist aber möglich… Übrigens, welches Papier habt ihr hier verwendet?
GS: Das ist ein ganz spezielles Papier, das ich 2000 mit der deutschen Papiermühle Scheufelen
entwickelt habe. Es ist mit einer Papierstreichtechnik produziert
worden, deren Rezeptur von 1890 stammt. Normalerweise ist die
Papierbeschichtung eine High-Tech-Angelegenheit mit ziemlich viel
Chemie. Aber das hier ist organisches Material und kommt ganz ohne
optische Aufheller aus. Bücher, die mit diesem Papier gedruckt werden,
bekommen keine gelben Ränder.
DS: Du hast Papier selbst entwickelt? Das wusste ich gar nicht!
GS: Ich
habe auch, speziell für Literatur, ein offenes, ungestrichenes Papier
herstellen lassen. Es besteht aus 80 Prozent Recycling-Papier und
20 Prozent Sekundärfasern aus der Papierfabrik, am Ende also aus 100
Prozent recyceltem Material. Darauf habe ich ein Buch von Günter Grass
gedruckt.
DS: Aber bisher keine Fotografien?
GS: Nein, ausschließlich Literatur. Eines Tages kam eine gewisse Frau Rowling nach Deutschland, kaufte das Buch von Grass, entdeckte das Papier und sagte zu ihrem Verlag: „Genau dieses Papier möchte ich für die deutschen Ausgaben von Harry Potter.“ Der Auftrag sorgte für das Überleben dieser Papiermühle.Natürlich war das die größte Bestellung, die sie jemals hatten.
DS: Fantastisch! Kann man darauf auch Fotografie drucken?
GS: Natürlich…
Heutzutage ist die Papierindustrie wegen der schrumpfenden Auflagen von
Zeitungen und Büchern in der Krise. Die Papiermühlen können kaum noch
überleben. Ich glaube aber, dass kleine Firmen wie Scheufelen weitaus
innovativer sind als die Großen. Bei denen hört dir wirklich jemand zu,
wenn du sagst, was du willst und aus ihrem Papier lassen sich sehr
schöne Objekte machen. Deswegen arbeite ich bei jedem meiner Bücher mit
speziellem Papier. Es stimmt schon, wenn die Leute sagen, dass jedes
Buch von Steidl anders aussieht – wegen der Spezial-Papiere, die ich
benutze. Sie sind teurer, sie werden à la carte produziert. Ich denke,
wir sollten ungestrichenes Papier verwenden, vielleicht ein
Recycling-Papier. Das würde Deinem Buch eine zusätzliche Ebene
verleihen.
DS: Ja, weil es auch gerade die Haptik ist, die bei File Room
die Leute interessiert. So etwas erwarten sie nicht bei einem Fotobuch.
Allein die Berührung vermittelt schon mehr als ein gängiges Fotobuch.
GS: Das
Problem ist, dass diese Art von Papier zwar schön ist, aber die meisten
Drucker heutzutage nicht mehr wissen, wie man damit umgeht. Man muss
das Material testen und unterschiedliche Tinten ausprobieren. Aber die
meisten Drucker scheuen Experimente. Ein Großteil der Leute, die in der
Grafik-Industrie arbeiten, haben weder Geschmack noch Visionen. Deshalb
gehen sie auch alle Pleite. Aber wenn man das Know How hat, kann man in
einer wunderbar komfortablen Nische überleben und sogar noch Geld
verdienen. Meine Vision ist es, dass junge Leute aus aller Welt von Dir
und mir lernen, wie man ein schönes Buch macht und das dann in ihren
Heimatländern tun. Vielleicht tritt ja einer von ihnen in unsere
Fußstapfen, nachdem er seinen Abschluss in Bildender Kunst oder Design
gemacht hat.
DS: Absolut. Ich glaube, ich habe Dir noch
gar nicht erzählt, dass ich meine Galerie in Indien verlassen habe. Von
nun an möchte ich nur noch Bücher machen. Ich will diese Bücher in
kleine Städte bringen, in denen sonst keine Fotoausstellungen zu sehen
sind. Einerseits funktioniert Museum of Chance
als ein Buch, andererseits ist es aber auch eine Ausstellung – und zwar
ohne die ganzen Versicherungen und mit geringen Transportkosten. Und
wenn dann mal etwas verloren geht, ist das auch kein Problem. Das
könnte die Art und Weise, wie Menschen eine Ausstellung wahrnehmen,
verändern.
GS: Ich glaube, dass Du zu Gutenbergs
Idee zurückkehrst. Er hatte die Idee, die Bibel herauszubringen, und so
revolutionierte er mit seinen beweglichen Lettern die Drucktechnik.
Gutenberg hat die Bibel designt, gedruckt, gebunden und verkauft. Davor
war sie nur Reichen zugänglich. Ein Mönch musste sich jahrelang
hinsetzen und sie mit der Hand abschreiben, was ein Vermögen kostete.
Gutenberg machte das Buch zu einem demokratischen Objekt. Wir führen
das jetzt in gewisser Weise fort. Fotografien werden in Museen und
Galerien ausgestellt, doch ein normaler Mensch kann sich die Abzüge
nicht leisten. Aber ein schönes Buch kann jeder erwerben.
Weißt
Du, Büchermachen ist so, als sei man Chefkoch in einem Restaurant. Sind
die Zutaten gut und ist man kreativ, kann man ein gutes Essen kochen.
Für das Büchermachen muss man sich mit den Materialien auskennen, die
beim Druck und beim Binden verwendet werden. Das Know How macht den
Unterschied. Das Problem der Druckindustrie heutzutage ist, dass das
Wissen über gute Produkte größtenteils nicht mehr vorhanden ist. Alles
wird vom Geld diktiert. Zum Beispiel, wenn jemand aus der Autoindustrie
einen Katalog für ein neues Auto machen will … sie heißen tatsächlich
Verkaufsliteratur.
DS: Das sind Kunstkataloge inzwischen auch.
GS: Genau,
und alles wird vom Geld diktiert. Wo können wir das Papier ein bisschen
billiger herkriegen? Wo können wir etwas billiger drucken? Wo die
Bindung billiger machen? Und wenn man am Ende alles auf den niedrigsten
Preis runter kalkuliert hat, kommt ein Produkt heraus, das es nicht
mehr wert ist, gedruckt zu werden. Dann ist es besser, die ganze Sache
nur im Internet zu machen. Wenn man aber auf Papier druckt, dann sollte
man von vornherein auf Haute Cuisine setzen. Also auf das Beste vom
Besten. Ich bin in der luxuriösen Position, Besitzer einer Druckerei zu
sein. Ich weiß, wo der Schalter ist, mit dem man die Maschine startet.
Wenn ich entscheide, Testdrucke zu machen, ist das meine Zeit und mein
Privatvergnügen. Wird das extern beauftragt, dann kostet es ein
Vermögen, denn der übliche Produktionsablauf darf nicht unterbrochen
werden. Deshalb ist es sehr schwierig, außergewöhnliche
Druckerzeugnisse herzustellen, es sei denn, man ist angesehener Art
Director oder Papiereinkäufer. Das macht es dem Nachwuchs besonders
schwer. Ich denke, es ist unsere Pflicht, unser Wissen an die nächste
Generation weiterzugeben.
DS: Bietest Du jungen Leuten an, in den Verlag zu kommen?
GS: Ja,
aus der ganzen Welt erreichen uns Anfragen für ein Praktikum. Ich suche
dann vielleicht für drei Monate jemanden aus Indien aus, oder für ein
Jahr jemanden aus Südafrika. Das ist auch sehr interessant für uns,
denn wir lernen ja etwas von deren Kultur und Ästhetik. Ganz einfach:
Ein Designer aus Schweden nimmt völlig andere Farben für einen Umschlag
als jemand aus Spanien. Ein Schwede wählt kühle blaue oder grüne
Farben, während ein Spanier gelb oder rot bevorzugt. Letztendlich
lautet unsere Botschaft, dass alles, was für ein Buch benötigt wird, im
eigenen Land produziert werden sollte. Das ist machbar. Vor 50, 70 oder
80 Jahren wurden die Papier-Paletten noch nicht durch die ganze Welt
geschickt. Wenn etwas in den USA gedruckt wurde, stammte auch das
Papier aus den USA. Deshalb war es für Buchsammler auch so interessant,
Bücher aus aller Herren Länder mitzubringen – sie waren alle
verschieden. Aber aufgrund der Globalisierung heutzutage ist alles
dasselbe geworden. Drucker in den Vereinigten Staaten oder China kaufen
in Finnland dasselbe Papier. Ich denke, die Zukunft von
Druckerzeugnissen liegt in der Rückkehr zur individuellen Herstellung –
wie bei Haute Cusine oder Haute Couture. Denn warum kauft man Chanel? Weil die Entwürfe von Karl Lagerfeld
sind. In der Werkstatt arbeiten zweihundert Schneider an einem
Haute-Couture-Teil. Und zum Schluss wird das Modell von Karl Lagerfeld
angepasst. Nach der Fertigstellung weiß man, dass es von der Idee bis
zur Realisierung in Paris entworfen und hergestellt wurde. Und man
weiß, dass es jemanden gibt, der dahinter steht, der sich darum
kümmert. Bei anderen Modehäusern kann man sich nicht so sicher sein, ob
die Sachen in Bangladesch oder wo auch immer produziert wurden. Meine
Bücher sollen Haute Couture sein – das ist meine Idee. Wenn „Steidl“
auf einem Buch steht, ist es gemeinsam mit dem Künstler in der Düsteren
Straße 4 in Göttingen konzipiert und umgesetzt worden. Die Hände des
Künstlers und die des Druckers waren dabei im Spiel. Das ist der
Unterschied zu all dem anderen Zeug, das es so gibt.
|