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Analoge Magie
Carina Brandes’ Selbstinszenierungen
Mit
reduzierten Aufbauten, Doppelbelichtungen und ungewöhnlichen
Perspektiven erzeugen die Fotoarbeiten von Carina Brandes eine surreale
Welt, die an Positionen der feministischen Avantgarde denken lässt.
Gleichzeitig greifen ihre poetischen Schwarz-Weiß- Aufnahmen auch die
aktuellen Diskurse um Körper, Geschlecht und Schönheit auf. Seit
Februar lebt Brandes als Stipendiatin der Villa Romana in Florenz.
Oliver Koerner von Gustorf hat mit der Fotografin über ihre magischen
Schwarz-Weiß-Bilder gesprochen.
„Ich habe schon immer Selbstporträts und Inszenierungen gemacht. Seitdem ich sechs war“, erklärt Carina Brandes. Ganz selbstverständlich
hört es sich bei der Fotografin an, dass ihre künstlerische Laufbahn in
einem Braunschweiger Kinderzimmer begonnen hat, irgendwann in den
1980ern. „Ich habe auch Freundinnen aufgenommen und gesagt, du nimmst
jetzt das in die Hand und du musst dich in diese Rolle einfühlen. Und
dann bin ich auch noch selbst vor die Kamera gekommen. Das war ein
Spiel. Meine Arbeit ist auch jetzt noch sehr spielerisch.“ Betrachtet
man Brandes schwarz-weiße Fotos der letzten Jahre, kann man sich dieses
verschworene Spiel von einst gut vorstellen. Es ist eine männerlose,
von Tieren und hybriden Wesen bevölkerte Welt, in der sie alleine oder
zusammen mit ihren Freundinnen die unglaublichsten Situationen
ausprobiert. Mal steht sie mit ausgestreckten Armen neben ausgestopften
Vögeln auf dem Geländer einer Fußgängerbrücke, wie zum gemeinsamen
Abflug bereit, dann schmiegt sie sich nackt mit einer anderen Frau über
eine bronzene Bärenskulptur.
„Ich sehe die ausgestopften oder in Bronze gegossenen Tiere als etwas Lebendiges an, ich hauche ihnen Leben ein“, sagt Brandes. In ihrem Kosmos gibt es keinen Unterschied zwischen Belebtem und Unbelebtem. Im Spiel werden Objekte, Skulpturen, Präparate, Fundstücke, sogar Orte zu imaginären Charakteren. Sie alle, genauso wie Brandes und ihre Akteurinnen, werden zu Protagonisten einer fortlaufenden, geheimnisvollen Erzählung. Und die spielt sich häufig in Randgebieten ab, auf Industriebrachen, verschneiten Feldern unter Hochspannungsleitungen, in verwilderten Parks – dort, wo die Zivilisation in die Natur übergeht oder sich die Natur verloren gegangene Gebiete zurückerobert. Brandes Kunst ist durch und durch eine Kunst des Überganges. Jedes ihrer Bilder hat etwas von einem Filmstill, einer eingefrorenen Bewegung, einem Teil einer Handlung. Die Akteure scheinen sie zu kennen, uns allerdings bleibt sie verborgen. „Es passiert immer in Bewegung, ich kann mir nicht vorstellen, einfach ein Szenario zu drapieren, und es 1:1 darzustellen“, sagt sie. „Mich interessiert, wenn ich selber beteiligt bin, die Bewegung vor und hinter der Kamera, der Prozess.“
Es ist früher Nachmittag. Brandes schaut etwas verschlafen in die Skype-Kamera. Sie hat in diesem Jahr ein zehnmonatiges Stipendium in der Villa Romana in Florenz. In dem von der Deutschen Bank seit den 1920ern unterstützten Künstlerhaus in den Hügeln über Florenz. Wo schon Max Beckmann, Michael Buthe und Georg Baselitz residierten, arbeitet sie mit Freundinnen an neuen Projekten. Im Juni wird sie ihre Arbeiten bei der Ausstellung Produktion. Made in Germany Drei zeigen, die alle fünf Jahre in Hannover stattfindet und vor allem vielversprechende aktuelle Positionen vorstellt. Heute Nacht habe sie gerade einmal zwei Stunden geschlafen, erzählt Brandes fröhlich. Wir sprechen über ihre analogen Schwarz-Weiß Bilder, die durch ihre Performativität, die Einbeziehung von Natur und Objekten und die Fokussierung auf den weiblichen Körper auch an die feministische Avantgarde der frühen 1970er denken lassen.
Unweigerlich kommt einem diese Generation von Pionierinnen in den Sinn, die damals die Kamera nutzten, um Körper- und Rollenbilder und die Möglichkeiten weiblicher Repräsentation zu erkunden. Brandes Selbstinszenierungen erinnern an Künstlerinnen wie Hannah Wilke oder Ana Mendieta, vor allem aber an Francesca Woodman. Die legendäre Fotografin, die sich 1981, erst 22-jährig, aus dem Fenster ihres Lofts im East Village in den Tod stürzt, war zu Lebzeiten kaum bekannt und wurde erst Ende der 1990er vom internationalen Kunstbetrieb entdeckt. Sie begann bereits als Kind mit fotografischen Selbstinszenierungen. Und auch auf ihren Fotografien erscheint der Körper wie eine labile, flüchtige Angelegenheit, verschwimmt in der Langzeitbelichtung wie eine Geistererscheinung. Woodman ließ sich im Wasser treiben, experimentierte mit Spiegeln und Folien, Masken, Muscheln, Fell und ausgestopften Tieren. Brandes ist etwas genervt, als der Name der amerikanischen Künstlerinfällt. Natürlich, erklärt sie, sei besonders ihre frühe Arbeit von Woodman beeinflusst. Doch sie habe sich schon lange in eine völlig andere Richtung bewegt – weg von der mystischen Aura, die durch Woodmans Biografie häufig auch mit Geheimnis und Leid verbunden wird.
Wir sprechen über den Witz in Brandes Bildern, über diese Effekte und Tricks, die so offensichtlich sind, dass sie schon wieder komisch erscheinen: Zwei Hände halten ein Boot aus gefaltetem Zeitungspapier vor die Kamera, so dass es aussieht, als schwämme es auf der Linie des Horizonts. Eine Frau wischt mit einem Mopp einen Meeresstrand auf. Eine andere scheint mit einem ausgestopften Hund zusammengewachsen zu sein. Mädchen sitzen wie Vögel auf einem Zaun, lassen die Beine baumeln und halten Pappmaché-Torten in den Händen. Weibliche Körper verbiegen oder verknoten sich ineinander, balancieren Objekte oder schlagen Rad. Brandes Bilder wirken auf den ersten Blick bedeutungsschwer, wie Rätselbilder. Doch je länger man hinschaut, umso leichter und ironischer werden sie.
„Ich würde das als ernsthaften Humor beschreiben“, sagt Brandes. Und grenzt sich ganz klar von der politischen Positionierung des frühen Feminismus ab: „Natürlich mache ich mir Gedanken um feministische Themen, aber ich bin keine Feministin. Vielleicht so etwas wie eine Post-Feministin. Da sind noch ganz viele andere Aspekte. Ich benutze meinen Körper frei, ich will nichts mehr darstellen, nicht mehr für bestimmte Inhalte einstehen. Mein Körper ist einfach wie ein Medium, das ich benutze.“ Das würde man ihr glatt abnehmen, wenn man einige ihrer Bilder betrachtet, auf denen auch die Einflüsse der aktuellen Modefotografie spürbar sind. Wie Brandes selbst haben auch ihre Protagonistinnen etwas von Models, die wie nackt in High-Heels oder lässig drapierten Pelzen und Pullovern druch die Kampagnen von Luxusmarken stolzieren. Auf einem ihrer bekanntesten Bilder schwimmt eine junge Frau mit Federschmuck im Wasser und sieht dabei der jungen Kate Moss auf den berühmten Bildern von Corinne Day verblüffend ähnlich. Immer wieder betont Brandes fast entschuldigend, man werde zwangsläufig von Medienbildern, Mode, Werbung, anderen Künstlern beeinflusst und „könne da nicht weggucken“. Es hört sich an, als suche sie nach etwas Authentischem, völlig Eigenem. Das ist diametral entgegengesetzt zur digitalen Fotografie der Post-Internet-Generation, die gerade die mediale Wirklichkeit und die Manipulation thematisiert und auch die Vorstellung eines „authentischen Selbst“ radikal kritisiert.
Vielleicht sind Brandes Bilder gerade deshalb so ansprechend, weil sie vordergründig an diese Suche nach dem Selbst anknüpfen und zugleich verdeutlichen, wie konstruiert dieses Selbst tatsächlich ist. Brandes erscheint in ihrer Fotografie wie eine Zeitreisende, an der die unterschiedlichsten Einflüsse der Kunstgeschichte und Popkultur haften bleiben. Das gilt auch für den „Gothic-Touch“ ihrer Bilder. Schon Woodman liebte Charlotte Brontës Roman Jane Eyre und Kleider aus Second-Hand-Läden, den Post-Hippie-Chic von Musikerinnen wie Kate Bush oder Stevie Nicks von Fleetwood Mac. Sie wollte in New York als Modefotografin Fuß fassen und verehrte Deborah Turbeville, deren traumartige, verschwommene Aufnahmen in Magazinen wie Vogue den Stil viktorianischer Fotografie zitierten.
Brandes ist die Fotografin einer aktuellen Generation, die diese modisch- feministische Attitüde aufgreift und sie sich wie ein loses Gewand überwirft. Griffen die Künstlerinnen der feministischen Avantgarde mythologische Figuren aus der Kunstgeschichte, wie Ophelia, Leda, die Venus von Botticelli, auf, absorbieren Brandes Fotografien die feministische Ästhetik mitsamt ihren Vorbildern und brauen daraus ohne Skrupel etwas Neues, das ganz auf Pathos oder Symbolhaftigkeit verzichtet. Es klingt erstaunlich nüchtern, wenn Brandes über ihre Arbeit spricht: „Der Körper ist für mich ein Gegenstand, den ich immer mit mir herumtrage. Ich war Kunstturnerin, mich interessiert der Körper im Zusammenspiel mit Form und Gegenstand.“ Auch die magischen Momente in ihrer Arbeit, Zeichnungen im Laub, die Steinhaufen, bemalten Baumstämme, die an okkulte Rituale denken lassen, sind eher formale Inspirationen für ein Bild. „Ich brauche immer einen Anfang“, sagt Brandes. „Sei es ein Stock, den ich bereits habe, oder dass ich etwas an die Wand male. Ich brauche immer einen Beginn, etwas, auf das ich mich einlasse, mit dem ich in Dialog trete, das ich auflade. Das ist ein Anfang, ein Startpunkt.“
Zugleich ist der Körper, ähnlich wie bei Woodman, nicht nur Gegenstand des Bildes. Er ist sein Erzeuger. Brandes maskierte, verdrehte, tanzende Körper, die Aktionen und Performances, die sie inszeniert, dienen nichts anderem als der Komposition eines Bildes, in dem der Gegenstand nicht passiv verharrt, sondern aufbegehrt und das Bild gestaltet. Brandes Fotografien erzählen auf eine sehr fantastische Weise von der künstlerischen Bildproduktion, dem Verhältnis zwischen Künstler und Subjekt, Betrachter und Bild. Augenfällig wird das bei einem ihrer Bilder, auf dem eine Frau Fotopapier durch einen Bach zieht – eine barbusige Gestalt wie aus einem David Hamilton-Film, die tatsächlich in einen alchemistischen Prozess vertieft ist.
Nicht umsonst agieren Brandes und ihre Freundinnen ständig mit Objekten oder verkleiden sich als Objekte. Sie spielt damit auf eine Geschichte der Kunstfotografie an, in die die Objekthaftigkeit des weiblichen Körpers unauslöschlich eingeschrieben ist. Das reicht von Surrealisten wie Man Ray, der auf einem seiner bekanntesten Bilder 1924 den Rückenakt von Kiki de Montparnasse als Le Violon d'Ingres stilisierte, über Helmut Newtons Aufnahmen, die seine Modelle kühl wie Schaufensterpuppen zeigten, bis hin zu den jüngsten Kampagnenbildern von Saint Laurent, auf denen Frauen mit gespreizten Beinen über Mobiliar drapiert werden. Brandes treibt dieses Spiel auf die Spitze – ihre Modelle fliegen kopfüber in Kisten, verwandeln sich in Schubkarren, hängen an Gartenzäunen oder auf Liegestühlen rum. Doch gerade dadurch, dass sich diese Körper bereitwillig in die Objekthaftigkeit begeben, sich mit Plunder, ausgestopften Tieren oder Baumstämmen solidarisieren, proben sie den Aufstand – als Antikörper, die keine Hierarchien mehr anerkennen.
„Ich sehe die ausgestopften oder in Bronze gegossenen Tiere als etwas Lebendiges an, ich hauche ihnen Leben ein“, sagt Brandes. In ihrem Kosmos gibt es keinen Unterschied zwischen Belebtem und Unbelebtem. Im Spiel werden Objekte, Skulpturen, Präparate, Fundstücke, sogar Orte zu imaginären Charakteren. Sie alle, genauso wie Brandes und ihre Akteurinnen, werden zu Protagonisten einer fortlaufenden, geheimnisvollen Erzählung. Und die spielt sich häufig in Randgebieten ab, auf Industriebrachen, verschneiten Feldern unter Hochspannungsleitungen, in verwilderten Parks – dort, wo die Zivilisation in die Natur übergeht oder sich die Natur verloren gegangene Gebiete zurückerobert. Brandes Kunst ist durch und durch eine Kunst des Überganges. Jedes ihrer Bilder hat etwas von einem Filmstill, einer eingefrorenen Bewegung, einem Teil einer Handlung. Die Akteure scheinen sie zu kennen, uns allerdings bleibt sie verborgen. „Es passiert immer in Bewegung, ich kann mir nicht vorstellen, einfach ein Szenario zu drapieren, und es 1:1 darzustellen“, sagt sie. „Mich interessiert, wenn ich selber beteiligt bin, die Bewegung vor und hinter der Kamera, der Prozess.“
Es ist früher Nachmittag. Brandes schaut etwas verschlafen in die Skype-Kamera. Sie hat in diesem Jahr ein zehnmonatiges Stipendium in der Villa Romana in Florenz. In dem von der Deutschen Bank seit den 1920ern unterstützten Künstlerhaus in den Hügeln über Florenz. Wo schon Max Beckmann, Michael Buthe und Georg Baselitz residierten, arbeitet sie mit Freundinnen an neuen Projekten. Im Juni wird sie ihre Arbeiten bei der Ausstellung Produktion. Made in Germany Drei zeigen, die alle fünf Jahre in Hannover stattfindet und vor allem vielversprechende aktuelle Positionen vorstellt. Heute Nacht habe sie gerade einmal zwei Stunden geschlafen, erzählt Brandes fröhlich. Wir sprechen über ihre analogen Schwarz-Weiß Bilder, die durch ihre Performativität, die Einbeziehung von Natur und Objekten und die Fokussierung auf den weiblichen Körper auch an die feministische Avantgarde der frühen 1970er denken lassen.
Unweigerlich kommt einem diese Generation von Pionierinnen in den Sinn, die damals die Kamera nutzten, um Körper- und Rollenbilder und die Möglichkeiten weiblicher Repräsentation zu erkunden. Brandes Selbstinszenierungen erinnern an Künstlerinnen wie Hannah Wilke oder Ana Mendieta, vor allem aber an Francesca Woodman. Die legendäre Fotografin, die sich 1981, erst 22-jährig, aus dem Fenster ihres Lofts im East Village in den Tod stürzt, war zu Lebzeiten kaum bekannt und wurde erst Ende der 1990er vom internationalen Kunstbetrieb entdeckt. Sie begann bereits als Kind mit fotografischen Selbstinszenierungen. Und auch auf ihren Fotografien erscheint der Körper wie eine labile, flüchtige Angelegenheit, verschwimmt in der Langzeitbelichtung wie eine Geistererscheinung. Woodman ließ sich im Wasser treiben, experimentierte mit Spiegeln und Folien, Masken, Muscheln, Fell und ausgestopften Tieren. Brandes ist etwas genervt, als der Name der amerikanischen Künstlerinfällt. Natürlich, erklärt sie, sei besonders ihre frühe Arbeit von Woodman beeinflusst. Doch sie habe sich schon lange in eine völlig andere Richtung bewegt – weg von der mystischen Aura, die durch Woodmans Biografie häufig auch mit Geheimnis und Leid verbunden wird.
Wir sprechen über den Witz in Brandes Bildern, über diese Effekte und Tricks, die so offensichtlich sind, dass sie schon wieder komisch erscheinen: Zwei Hände halten ein Boot aus gefaltetem Zeitungspapier vor die Kamera, so dass es aussieht, als schwämme es auf der Linie des Horizonts. Eine Frau wischt mit einem Mopp einen Meeresstrand auf. Eine andere scheint mit einem ausgestopften Hund zusammengewachsen zu sein. Mädchen sitzen wie Vögel auf einem Zaun, lassen die Beine baumeln und halten Pappmaché-Torten in den Händen. Weibliche Körper verbiegen oder verknoten sich ineinander, balancieren Objekte oder schlagen Rad. Brandes Bilder wirken auf den ersten Blick bedeutungsschwer, wie Rätselbilder. Doch je länger man hinschaut, umso leichter und ironischer werden sie.
„Ich würde das als ernsthaften Humor beschreiben“, sagt Brandes. Und grenzt sich ganz klar von der politischen Positionierung des frühen Feminismus ab: „Natürlich mache ich mir Gedanken um feministische Themen, aber ich bin keine Feministin. Vielleicht so etwas wie eine Post-Feministin. Da sind noch ganz viele andere Aspekte. Ich benutze meinen Körper frei, ich will nichts mehr darstellen, nicht mehr für bestimmte Inhalte einstehen. Mein Körper ist einfach wie ein Medium, das ich benutze.“ Das würde man ihr glatt abnehmen, wenn man einige ihrer Bilder betrachtet, auf denen auch die Einflüsse der aktuellen Modefotografie spürbar sind. Wie Brandes selbst haben auch ihre Protagonistinnen etwas von Models, die wie nackt in High-Heels oder lässig drapierten Pelzen und Pullovern druch die Kampagnen von Luxusmarken stolzieren. Auf einem ihrer bekanntesten Bilder schwimmt eine junge Frau mit Federschmuck im Wasser und sieht dabei der jungen Kate Moss auf den berühmten Bildern von Corinne Day verblüffend ähnlich. Immer wieder betont Brandes fast entschuldigend, man werde zwangsläufig von Medienbildern, Mode, Werbung, anderen Künstlern beeinflusst und „könne da nicht weggucken“. Es hört sich an, als suche sie nach etwas Authentischem, völlig Eigenem. Das ist diametral entgegengesetzt zur digitalen Fotografie der Post-Internet-Generation, die gerade die mediale Wirklichkeit und die Manipulation thematisiert und auch die Vorstellung eines „authentischen Selbst“ radikal kritisiert.
Vielleicht sind Brandes Bilder gerade deshalb so ansprechend, weil sie vordergründig an diese Suche nach dem Selbst anknüpfen und zugleich verdeutlichen, wie konstruiert dieses Selbst tatsächlich ist. Brandes erscheint in ihrer Fotografie wie eine Zeitreisende, an der die unterschiedlichsten Einflüsse der Kunstgeschichte und Popkultur haften bleiben. Das gilt auch für den „Gothic-Touch“ ihrer Bilder. Schon Woodman liebte Charlotte Brontës Roman Jane Eyre und Kleider aus Second-Hand-Läden, den Post-Hippie-Chic von Musikerinnen wie Kate Bush oder Stevie Nicks von Fleetwood Mac. Sie wollte in New York als Modefotografin Fuß fassen und verehrte Deborah Turbeville, deren traumartige, verschwommene Aufnahmen in Magazinen wie Vogue den Stil viktorianischer Fotografie zitierten.
Brandes ist die Fotografin einer aktuellen Generation, die diese modisch- feministische Attitüde aufgreift und sie sich wie ein loses Gewand überwirft. Griffen die Künstlerinnen der feministischen Avantgarde mythologische Figuren aus der Kunstgeschichte, wie Ophelia, Leda, die Venus von Botticelli, auf, absorbieren Brandes Fotografien die feministische Ästhetik mitsamt ihren Vorbildern und brauen daraus ohne Skrupel etwas Neues, das ganz auf Pathos oder Symbolhaftigkeit verzichtet. Es klingt erstaunlich nüchtern, wenn Brandes über ihre Arbeit spricht: „Der Körper ist für mich ein Gegenstand, den ich immer mit mir herumtrage. Ich war Kunstturnerin, mich interessiert der Körper im Zusammenspiel mit Form und Gegenstand.“ Auch die magischen Momente in ihrer Arbeit, Zeichnungen im Laub, die Steinhaufen, bemalten Baumstämme, die an okkulte Rituale denken lassen, sind eher formale Inspirationen für ein Bild. „Ich brauche immer einen Anfang“, sagt Brandes. „Sei es ein Stock, den ich bereits habe, oder dass ich etwas an die Wand male. Ich brauche immer einen Beginn, etwas, auf das ich mich einlasse, mit dem ich in Dialog trete, das ich auflade. Das ist ein Anfang, ein Startpunkt.“
Zugleich ist der Körper, ähnlich wie bei Woodman, nicht nur Gegenstand des Bildes. Er ist sein Erzeuger. Brandes maskierte, verdrehte, tanzende Körper, die Aktionen und Performances, die sie inszeniert, dienen nichts anderem als der Komposition eines Bildes, in dem der Gegenstand nicht passiv verharrt, sondern aufbegehrt und das Bild gestaltet. Brandes Fotografien erzählen auf eine sehr fantastische Weise von der künstlerischen Bildproduktion, dem Verhältnis zwischen Künstler und Subjekt, Betrachter und Bild. Augenfällig wird das bei einem ihrer Bilder, auf dem eine Frau Fotopapier durch einen Bach zieht – eine barbusige Gestalt wie aus einem David Hamilton-Film, die tatsächlich in einen alchemistischen Prozess vertieft ist.
Nicht umsonst agieren Brandes und ihre Freundinnen ständig mit Objekten oder verkleiden sich als Objekte. Sie spielt damit auf eine Geschichte der Kunstfotografie an, in die die Objekthaftigkeit des weiblichen Körpers unauslöschlich eingeschrieben ist. Das reicht von Surrealisten wie Man Ray, der auf einem seiner bekanntesten Bilder 1924 den Rückenakt von Kiki de Montparnasse als Le Violon d'Ingres stilisierte, über Helmut Newtons Aufnahmen, die seine Modelle kühl wie Schaufensterpuppen zeigten, bis hin zu den jüngsten Kampagnenbildern von Saint Laurent, auf denen Frauen mit gespreizten Beinen über Mobiliar drapiert werden. Brandes treibt dieses Spiel auf die Spitze – ihre Modelle fliegen kopfüber in Kisten, verwandeln sich in Schubkarren, hängen an Gartenzäunen oder auf Liegestühlen rum. Doch gerade dadurch, dass sich diese Körper bereitwillig in die Objekthaftigkeit begeben, sich mit Plunder, ausgestopften Tieren oder Baumstämmen solidarisieren, proben sie den Aufstand – als Antikörper, die keine Hierarchien mehr anerkennen.