Inspiration is a little town in China
Tobias Rehbergers Papierarbeiten im Berliner Haus am Waldsee

Mit WRAP IT UP pr�sentierte die Deutsche Bank gemeinsam mit dem MACRO in Rom 2014 die erste umfassende Ausstellung mit Papierarbeiten von Tobias Rehberger �berhaupt. Jetzt wird Rehbergers intensive Besch�ftigung mit dem Medium Papier erstmals in einer Solo-Ausstellung in Deutschland vorgestellt. Inspiration is a little town in China – in Papier lautet der Titel der Schau, die das gesamte Spektrum von Rehbergers Auseinandersetzung mit dem Material Papier in den letzten Jahrzehnten abdeckt – von Zeichnungen und Aquarellen der fr�hen 1990er-Jahre �ber tagebuchartige Collagen bis zu Serien von gro�formatigen Computerdrucken und dreidimensionalen Werken. Rehberger, f�r den Papier durchaus eine skulpturale Qualit�t hat, nennt seine Werke ganz bewusst nicht „works on paper“, sondern „works in paper“.

Ein ironischer und zugleich materialistisch-philosophischer Verweis auf die Papierherstellung sind etwa Rehbergers keulen-, turm- oder klumpenf�rmige Termitenh�gel, die an die Abstraktion der Nachkriegsmoderne erinnern. Sie spielen darauf an, dass in China erstmals vor �ber 2000 Jahren Papier hergestellt wurde, aber Termiten durch Verdauungsprozesse von Zellulose (etwa aus Holz, Hanf und Gr�sern) bereits seit �ber 200 Millionen Jahren eine Art Papiermasse herstellen, die sie als Werkstoff f�r ihre Behausungen nutzen. Zus�tzlich sind neue Rauminstallationen aus Papier und ein von Rehberger gestaltetes Billboard im Garten zu sehen.

F�r die Sammlung Deutsche Bank wurden bereits zu Beginn der 1990er-Jahre Papierarbeiten von Rehberger angekauft, die jetzt in Berlin zu sehen sind, darunter auch seine Serie S.M.V. (Somme, Marne Verdun) von 1993. Die Aquarelle, die tats�chlich als Pleinairmalerei entstanden sind, muten wie die Finger�bungen eines Hobbyk�nstlers an, der seine Staffelei in die Natur getragen hat, um die Stimmung des Fr�hjahrs festzuhalten: das zarte Gr�n des jungen Grases, den Verlauf der W�lder am Horizont, die wechselnden Blau- und Graut�ne des Himmels. Bis zur Trivialit�t lieblich und harmlos erscheinen diese Landschaften, doch wie es der Titel bereits andeutet, stammen diese Idyllen in Wirklichkeit von ehemaligen Schlachtfeldern. So starben in der Region von Somme im Juli 1916 w�hrend einer alliierten Offensive �ber eine Million Soldaten und bei einer deutschen Offensive im M�rz 1918 weitere 380.000. Der Anblick der Felder verr�t nichts von dieser Geschichte, er ist und bleibt trotz allen Leidens und Schreckens banal.

Auch eines von Rehbergers radikalsten Papier-Projekten ist in Berlin zu sehen. F�r eine Edition f�r die Sammlung Deutsche Bank lie� er bei einer Aktion im Allg�u 2003 seine komplette Garderobe verbrennen. Aus den verkohlten R�ckst�nden der Kleidung lie� der K�nstler schwarze Farbe herstellen, mit der er wiederum seine am Computer generierte Arbeit Gro�er Akt vor Schneelandschaft druckte – eine Art abstrakt-alchemistisches Selbstportrait. „Ich wollte, dass etwas Absurdes daraus entsteht, etwas Unangenehmes, Kitschiges, aber trotzdem Magisches“, erinnerte sich Rehberger in einem Interview mit ArtMag. „Bei meiner Oma hingen immer Fotos, die wie Kalenderbl�tter mit gr�nem Klebeband zwischen zwei Glasplatten fixiert waren. Mir gefiel einfach die Idee, dass aus konkreten Sachen wie der Kleidung, dann dieses Nichts wird, dieses abstrakte Etwas, das zwischen Henry Moore und Marienerscheinung angesiedelt ist.“

Dieser Wechsel zwischen unterschiedlichen Denksystemen und Weltbildern ist f�r den seit 2001 als Professor f�r Bildhauerei an der St�delschule in Frankfurt lehrenden K�nstler ganz typisch. Es geht Rehberger, wie er selbst sagt, um die „Unsicherheit �ber das, was eigentlich so klar und einfach scheint, um die Ungewissheit �ber das, was man Kunst nennt.“

Inspiration is a little town in China – in Papier
06.09. – 17.11.2019
Haus am Waldsee, Berlin