Vom Eindruck zum Ausdruck
Martin Kippenberger in der Bundeskunsthalle

„Mr. 1.000 Volt“ – so charakterisiert ihn Gisela Capitain, seine langj�hrige Galeristin und heutige Nachlassverwalterin. Bei Martin Kippenberger sei „alles hochintensiv gewesen“, seine Kunst wie sein Leben. Die ganze Energie und Schaffenslust des 1997 mit nur 44 Jahren verstorbenen K�nstlers, der auch in der Sammlung Deutsche Bank vertreten ist, kann man jetzt in Bonn nachempfinden: Mit 360(!) Gem�lden, Zeichnungen, Fotografien, Plakaten, K�nstlerb�chern, Skulpturen und raumgreifenden Installationen l�sst die Bundeskunsthalle einen Mythos der bundesdeutschen Kunstgeschichte wiederauferstehen.

„Kippi“ zeigt – und lebt – den Nihilismus und den ganzen Wahnsinn der Medien- und Konsumkultur des sp�ten 20. Jahrhunderts. Seine Bilder entstehen in einer �ra, in der der Einmarsch in Afghanistan, der erste Golfkrieg und Tschernobyl die Vorstellung einer nahenden Apokalypse heraufbeschw�ren. Angesichts der schlechten Aussichten wird erst recht gefeiert, man will schlie�lich noch etwas erleben: In den Gro�st�dten entwickelt sich ein neues, „cooles“ Lebensgef�hl und eine von ironischer Ambivalenz, Intensit�t und Beschleunigung gepr�gte Kultur. Daf�r stehen nicht nur Punk und New Wave, sondern auch eine erneuerte Malerei, die damals gerne pauschal als „jung“, „wild“ oder „heftig“ bezeichnet wird. Doch K�nstler wie Rainer Fetting, Walter Dahn oder eben Kippenberger verfolgen dabei ganz unterschiedliche Strategien. W�hrend Fetting und Dahn eher an Expressionismus bzw. Primitivismus ankn�pfen, stellen Kippenberger und seine Freunde Werner B�ttner wie auch Albert und Markus Oehlen Bild, Sujet und Autorenschaft infrage. Und sie teilen einen Hang zum sarkastischen Humor, der auch Kippenbergers unverwechselbare Bildtiteln pr�gt: Heute denken, morgen fertigGro�e Wohnung nie zu HauseAlkoholfolterAschenbecher f�r AlleinstehendeIch geh kaputt, gehst Du mit?. Titel, die gleichzeitig immer als autobiografische Referenzen zu verstehen sind.

Auch der Titel der Retrospektive wurde von einem Gem�lde �bernommen: Bittesch�n. Dankesch�n spielt auf Kippenbergers permanentes Geben und Nehmen an. Sein umfangreiches Werk gleicht einer niemals stillstehenden Bildverarbeitungsmaschine, angetrieben von Einfl�ssen aus Popkultur, Alltag, Politik und Kunstgeschichte. „Martin Kippenberger war ein Katalysator s�mtlicher Eindr�cke“, erkl�rt Rein Wolfs, der Intendant der Bundeskunsthalle. „Er verst�rkte, �bertrieb, ver�nderte und �berformte die Dinge, er ironisierte und persiflierte, stellte neue Kontexte her.“

Das zeigt bereits seine erste Gem�lde-Serie. Uno di voi. Un Tedesco in Firenze entstand 1977 vor Ort in Italien. Hier will Kippenberger eigentlich seinem Idol Helmut Berger nacheifern und Schauspieler werden. Doch der Ex-Student, der sich an der Hamburger Akademie vor allem mit Fotografie besch�ftigte und mit den k�nstlerischen M�glichkeiten von Kopierger�ten experimentierte, entwickelte sich in Florenz zum Maler. Bei diesen in grobem Schwarz-Wei�-Grau gefertigten, seriell angelegten Bildern nutzt er die eigene Lebenswirklichkeit und Umgebung als Material: Ein Mann mit Vespa, Schaufensterauslagen, die Ponte Vecchio oder auch etwas sehr Privates wie sein Besuch einer der landestypischen Stehtoiletten. In diesen meist auf eigenen Fotos basierenden Bildern ist all das angelegt, was seine sp�teren Werke auszeichnet: die gleichzeitige Auseinandersetzung mit Alltag und Kunstgeschichte (hier parodiert er Gerhard Richters „Graumalerei“), Provokation und absurder Humor. Konzeptuelles Ziel ist es, so viele Bilder zu malen, dass sie aufeinander gestapelt Kippenbergers K�rpergr��e entsprechen. In der Ausstellung wirkt die Wand mit den Uno di voi-Bildern �beraus zeitgem��. Mit dieser Armada abgemalter Schnappsch�sse, alle im Format 60 x 50 cm, scheint er die Bildraster auf Instagram zu antizipieren.

Auch den Hang zum �ffentlichen Leben teilt der K�nstler mit der heutigen Social-Media-Generation – nat�rlich noch ganz analog: Zu seinem 25. Geburtstag plakatiert er ganz West-Berlin mit seinem Konterfei: Ein Vierteljahrhundert Kippenberger als einer von Euch, mit Euch, unter Euch. Parallel dazu l�sst er Briefmarken mit seinem Portr�t drucken. Kippenbergers gemalte Selfies kommen dabei ganz ohne Beauty-Filter aus. Zwar l�sst er sich 1981 von einem Kinoplakatmaler als glamour�ser Gro�stadt-Cowboy verewigen, doch sieht er auf einem anderen Bild aus demselben Jahr gar nicht mehr wie ein moderner Dandy aus. Nachdem ihm „Ratten-Jenny“ im Punkclub SO36 die Nase blutig geschlagen hat, l�sst er sich mit bandagiertem Kopf ablichten und malt nach diesem Foto seinen Dialog mit der Jugend. In den sp�teren Selbstportr�ts ist vom einstigen Glamour nichts mehr �brig. In Anlehnung an David Douglas Duncans ber�hmte Fotos von Picasso, die den alternden Maler als virilen, selbstbewussten Macho in strahlend wei�en Boxershorts zeigen, posiert „Kippi“ in einer ausgeleierten, schmuddeligen Feinripp-Unterhose und zeigt gnadenlos seinen Schmerbauch.

Einige der zahlreichen Selbstportr�ts in der Ausstellung zeugen von seiner Auseinandersetzung mit dem Kunstbetrieb, den er best�ndig provozierte, zu dem er aber doch auch immer geh�ren wollte. Mit der in sechs Varianten ausgef�hrten, lebensgro�en Skulptur Martin, ab in die Ecke und sch�m Dich reagiert er auf einen Artikel in der Kunstzeitschrift Wolkenkratzer, der ihn als frauenfeindlichen, zynischen Alkoholiker mit politisch fragw�rdigen Ansichten charakterisiert. F�r viele damalige Kritiker ist der K�nstler, der sich gerne �ber jede Form von politischer Korrektheit lustig macht – eines seiner Bilder nennt er Was ist Ihre Lieblingsminderheit? – ein rotes Tuch. So schreibt Marius Babias 1996: „Seri�se deutsche Museen weigern sich bis heute, Retrospektiven mit Kippenberger einzurichten.“

Die Zeiten dieser harschen Ablehnung sind gl�cklicherweise vorbei. Und so kann man jetzt in Bonn neben all den Provokationen auch Arbeiten aus seinem ber�hrenden Medusa-Zyklus sehen, der nur ein Jahr vor seinem Tod entstand. F�r diese Selbstportr�ts adaptiert er die Gesten der Schiffbr�chigen auf G�ricaults ber�hmtem Gem�lde Das Flo� der Medusa (1819). Es sind Bilder, die von der gro�en existenziellen Not und Verzweiflung sprechen, die hinter der Fassade des zynischen Witzbolds steckten.
Achim Drucks

Martin Kippenberger
BITTESCH�N DANKESCH�N - Eine Retrospektive

bis 16. Februar 2020
Bundeskunsthalle Bonn