Grauzonen:
Julie Mehretus Retrospektive startet im Los Angeles County Museum of Art

Julie Mehretu hat in ihrer abstrakten Malerei bereits in den fr�hen 2000er-Jahren die Themen reflektiert, die heute weltweit so dr�ngend sind: Globale Migration, Klimawandel, das Verh�ltnis des Individuums zum Staat, des K�rpers zur Architektur. Jetzt widmen das Los Angeles County Museum of Art (LACMA) und das New Yorker Whitney Museum der 1970 in der �thiopischen Hauptstadt Addis Abeba geborenen K�nstlerin die erste institutionelle Retrospektive in den USA. Mit �ber 30 zumeist gro�formatigen Gem�lden und 40 Werken auf Papier zeichnet die Schau Mehretus 23-j�hrige Laufbahn nach.

Ihre fr�hen Arbeiten, die sie 1996 zu entwickeln beginnt, sind Hybride aus Zeichnung und Malerei. Sie setzen sich mit den unterschiedlichen Formen des Kartografierens, der Verortung und der Markierung auseinander. H�ufig basieren sie auf architektonischen Formen, Rastern oder Diagrammen, die politisches Geschehen festhalten: die Bewegungen von Fl�chtlingen, Rohstoffen oder Finanzen. Aus der Distanz wirken sie wie imagin�re Landkarten, die innerhalb eines Werkes ganz unterschiedliche Aggregatzust�nde annehmen: Das k�nnen ebenso filigrane Ver�stelungen wie auch wolkenartige Ballungen und Explosionen oder scharfkantige, geometrische Fl�chen sein. N�hert man sich, erkennt man jedoch urbane Chiffren: Fragmente von Geb�uden. So auch in Stadia II (2004) und Black City (2007), in denen Mehretu Formen wie das Amphitheater oder das Kolosseum aufgreift, in denen sich Typologien von Sport, Freizeit und Milit�r �berlagen. Immer scheinen sich die Bilder der in New York lebenden K�nstlerin, die 7-j�hrig mit ihren Eltern in die USA emigrierte, in der Schwebe zu halten, im Transit zu befinden. Ihre Arbeiten aus den 2000ern bezeichnen einen Zustand des „Dazwischen“. Eine Grauzone. So auch das Gem�lde Berliner Pl�tze (2008-2009), das als Teil der Auftragsarbeit Grey Area (2009) f�r das Deutsche Guggenheim entstand und als Leihgabe aus der Sammlung Deutsche Bank in der Retrospektive vertreten ist. Julie Mehretu radiert einzelne Teile ihrer Gem�lde aus. Die so entstehenden grauen Verwischungen werden dann wieder �berzeichnet. Dieser Effekt hat etwas Geisterhaftes und fungiert zugleich als Analogie zum realen Wandel – nicht nur der deutschen Hauptstadt. In einer Art arch�ologischer Rekonstruktion erlebt der Betrachter die urbanen R�ume auf Julie Mehretus Bildern als sich aufl�sende, fast imagin�re Szenerien, in die sich die Gewalt der Moderne ebenso wie die unaufhaltsame Dynamik der Gegenwart eingeschrieben haben.

Die Werkschau im LACMA, die im Anschluss nach New York wandert, endet mit Mehretus j�ngsten Gem�lden, die sich seit einigen Jahren von dem engen Bezug zur Architektur gel�st haben, aber noch immer den K�rper und sein Verh�ltnis zur Staatsgewalt thematisieren. Vordergr�ndig wirken diese farbig leuchtenden Bilder mit ihren gestischen Markierungen und Wirbeln aus gesprayter Farbe wie eine zeitgem��e Antwort auf den Abstrakten Expressionismus. Doch tats�chlich basieren sie auf Medienbildern, die mit Photoshop bis zur v�lligen Unsch�rfe verfremdet und dann malerisch �berarbeitet wurden. Daf�r hat Mehretu Aufnahmen ausgew�hlt, die ikonisch f�r die globale politische Situation stehen – wie die des Neonazi-Aufmarschs in Charlottsville, der Kinder in den Straflagern an der mexikanischen Grenze oder des abgebrannten Greenfell Towers in London. Von der urspr�nglichen Bildinformation ist nichts mehr erkennbar. Doch die Farbigkeit und Dynamik der Motive pr�gen Mehretus abstrakte und zugleich investigative Malerei, in der diese historischen Ereignisse geisterhaft nachhallen.

Julie Mehretu
03.11.2019 – 17.05.2020
LACMA, Los Angeles

26.06. – 20.09.2020
Whitney Museum, New York

24.10.2020 – 31.01.2021
High Museum of Art, Atlanta

14.03. – 11.07.2021
Walker Art Center, Minneapolis